in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Band XIX, Heft 2, Frühjahr 2013, Wien, S. 73-74.
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Heike Munder/ Ulf Wuggenig (Hg.): Das Kunstfeld. Eine Studie über Akteure und Institutionen der zeitgenössischen Kunst. Zürich 2012, jrp | ringier.

Text: Jens Kastner

Das Publikum im Kunstfeld ist gespalten. Zwar prinzipiell sehr gebildet, gibt es auf der einen Seite die ExpertInnen, ganz angetan von Ausstellungsbegleitprogrammen und beinahe persönlich beleidigt von jedem Versuch erklärender Hilfestellung (Begleittexte, Führungen etc.). Solche Art der Kunstvermittlung steht demgegenüber bei den sporadischen MuseumsbesucherInnen auf der anderen Seite hoch im Kurs, Kataloge und Diskussionsveranstaltungen hingegen überhaupt nicht. Das war vor über vierzig Jahren so, als die Soziologen Pierre Bourdieu und Alain Darbel ihre internationale Museumsstudie durchführten. Und es ist heute nicht anders. Das jedenfalls ist eines der Ergebnisse, die im Kontext einer neuen Studie zu AkteurInnen und Institutionen im gegenwärtigen Feld der Kunst ermittelt werden konnten. Erstellt hat sie der Kunstsoziologe Ulf Wuggenig in Zusammenarbeit mit unterschiedlich angebundenen Kunst- und SozialwissenschaftlerInnen sowie mit dem Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich. Zwar beziehen sich die aktuellen Daten auf die Schweizer Stadt, die Basel mittlerweile den Rang als Kunstmetropole abgelaufen hat. Verglichen mit Ergebnissen aus früheren Kunstfeldforschungen in Wien, Paris und Hamburg ergeben sie aber eine empirische Basis, auf deren Grundlage sich ziemlich abgesicherte, allgemeine Aussagen über die Verhältnisse machen lassen, innerhalb derer in Westeuropa gegenwärtig Kunst gemacht, rezipiert und gehandelt wird. Insofern ist auch der vollmundige Titel des Buches – „Das Kunstfeld“ – alle mal gerechtfertigt.

Während Theorierahmen und Terminologie im Wesentlichen diejenigen von Bourdieu sind, haben sich, anders als hinsichtlich des eingangs erwähnten Beispiels, selbstverständlich nicht auch alle von dessen Ergebnissen bestätigt. Die auffälligsten Veränderungen des Kunstgeschehens in den letzten 40 Jahren finden sich vor allem in zwei Phänomenen: Ökonomisierung und Theoretisierung. Den Einzug der wirtschaftlichen Kriterien in die Legitimierung von Kunst konstatieren Wuggenig u.a. zwar, allerdings relativieren ihre Forschungsergebnisse deren Ausmaße doch deutlich. Symbolwert und Warenwert bleiben demnach relativ autonom, ökonomische und ästhetische Bewertungen sind „bei ernsthafter empirischer Betrachtung“ weit unabhängiger voneinander als „vielfach angenommen wird“ (Wuggenig). „(W)orin jene symbolische Macht gründet, welche es erlaubt, nahezu beliebige Objekte über ihre ‚Bezeichnung’ bzw. Signierung zu valorisieren“, ist nach wie vor, schreibt Wuggenig auch in seinem paradigmatischen Eingangsbeitrag zur Kunstfeldforschung, eine der aus soziologischer Sicht wichtigsten Fragen an die Kunst. Denn im Hinblick etwa auf das Ansehen von KünstlerInnen oder in Bezug auf den Einfluss von Medien zeigt sich das Kunstfeld nach wie vor als „verkehrte Welt“ (Bourdieu), deren Ökonomie anders funktioniert als die anderer Felder: So kann etwa hohe Medienpräsenz der künstlerischen Reputation schaden statt nützen, und der Einfluss von Zeitschriften auf die Wertschöpfung steigt tendenziell mit geringer werdender Auflage!

Die Theoretisierung hingegen stellt viel eher einen Kernpunkt der Bourdieu´schen Kunsttheorie in Frage als die Kommerzialisierung. Denn Bourdieu war davon ausgegangen, dass die Kunst nicht ohne „charismatische Ideologie“ funktionieren würde, d.h. nicht ohne den Glauben an die kreative Ausnahmepersönlichkeit und ihr Schaffen ebenso wie jenen an die naturgegebene Befähigung der BetrachterInnen, die richtigen Blicke auf die Kunst werfen zu können. Beide sind eingebrochen. Produktion und Rezeption von Kunst werden kaum noch als exklusive Gnade betrachtet. Unter den ExpertInnen meinen nicht einmal mehr 30 Prozent, dass die Kunst für sich selbst spreche und keine Theorie brauche. Noch weniger halten an der Vorstellung vom begnadeten Auge fest (sieben Prozent der Befragten in Wien, 4 % in Paris und Zürich, 3% in Hamburg), die einst auch von der modernistischen Kunstkritik forciert worden war. „Das Publikum hat den Glauben an seine natürliche Begabung verloren.“ (Prinz/ Wuggenig) Diese Transformationen werden gleichsam auf gesellschaftliche Veränderungen wie die Bildungsexpansion wie auch auf den feldinternen Einflussgewinn bestimmter Strömungen in Kunstpraxis (Conceptual Art), Ausstellungswesen (Documenta X bis 13, Manifesta) und Zeitschriften (October, Texte zur Kunst, Springerin) zurückgeführt.

Die mit Balken-, Stab- und Strahlendiagrammen gespickte Studie liefert alle möglichen Daten zum Kunstfeld der Gegenwart und stellt so manche Debatte auf eine empirische Basis. Die „Krise der Kunstkritik“ etwa ist eigentlich keine, auch wird die These von der Entdifferenzierung der Kunst in Richtung Mode „durch die Daten nicht gestützt.“ (Wuggenig) Allein die Institutionen der Kunstausbildung kommen zwar vor, ihre hochschwelligen Zugangsmodalitäten und Exklusionseffekte werden aber nicht gesondert untersucht. Etwas unterbelichtet bleiben auch die Geschlechterdifferenzen in Positionen und Positionierungen, auch wenn die Notwendigkeit feministischer Perspektiven und Forderungen durchaus konstatiert wird: Eine „’postfeministische’ Haltung“ sei angesichts der Repräsentation und der Ränge von Künstlerinnen in den maßgeblichen Rankings machttheoretisch „eher naiv“.

Diese empirischen Grundlegungen gelingen nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund einer beeindruckenden theoretischen Informiertheit. Für die deutschsprachige Kunstsoziologie ist die Studie jedenfalls in jeder Hinsicht eine Standards setzende Ausnahmeerscheinung. Man wird sie schließlich nicht nur zurate ziehen, um zu verstehen, warum die eingangs erwähnte Kunstvermittlung trotz educational turn vom „Aufstieg der Profession der freien Kurator/innen“ nicht wird profitieren können.



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