in: Frankfurter Rundschau, 12. August 2002.

Diese Emanzen, die gar keine waren...
Selbstbestimmung als Selbstbetrug? Andrea Trumann unterzieht Frauenbewegung und feministische Theorie einer ziemlich fundamentalen, an Foucault geschulten Kritik


Feminismus ist out. Das ist keine neue und erst recht keine wertende Erkenntnis. Die Frauenbewegung ist Geschichte und die ehemals von ihr getragene feministische Theorie führt ein institutionelles Nischendasein. Um da heraus zu kommen, helfen zur Zeit auch keine Bücher, und schon gar nicht dieses: Obwohl der Titel anderes vermuten ließe, ist das Buch Andrea Trumanns weder Plädoyer noch Manifest.
Eine Überraschung ist es trotzdem. Trumann schildert die Anfänge der Frauenbewegung im Kontext der Studierendenrevolte von 1968 und zeichnet ihre wesentlichen theoretischen Standpunkte bis zur queer-Theorie der Gegenwart kenntnisreich nach. Wer aber unter der Überschrift „Feministische Theorie“ eine allgemeine und sich mit Wertungen zurückhaltende Einführung erwartet, wird gleich auf den ersten Seiten eines besseren belehrt.

Während auch retrospektiv noch heute Feministinnen als Emanzen beschimpft werden, behauptet Trumann, all das hätte mit Emanzipation sowieso gar nichts oder nur sehr wenig zu tun gehabt. Die mit dem zentralen Begriff der Selbstbestimmung eingeforderte Subjektwerdung der Frauen hätte nicht einmal theoretisch befreiendes Potential gehabt. Sie habe eine spezifisch weibliche Subjektivität hervorgebracht, die, statt eine Alternative zur unterdrückerischen männlichen zu bieten, heute zur persönlichen Umsetzung staatlicher Bevölkerungspolitik führe. Während der feministischen Theorie ihr kritischer Gehalt immerhin nicht gänzlich abgesprochen wird, gerät damit vor allem die Frauenbewegung in Mißkredit.
Trumann stützt sich bei der Rede von Bevölkerungspolitik vor allem auf Michel Foucaults Begriff der Biomacht. Diese bezeichnet die relativ repressionsfreie Regulierung des Lebens einzelner zugunsten gesellschaftlicher Effektivität. Dieses Regeln beginnt mit der Subjektwerdung, und hier sieht Trumann in den frauenbewegten Kämpfen um Mutterschaft, gegen den Paragraphen 218 oder für selbstbestimmte Sexualität die Übernahme gesellschaftlicher respektive staatlicher Normen durch die einzelnen Frauen. Während die feministischen Theoretikerinnen von Simone de Beauvoiur bis zum Aktionsrat zur Befreiung der Frau immer schon tendenziell die Eingebundenheit in kapitalistische Verhältnisse vernachlässigt hätten, trifft Trumanns Kritik die Bewegungen noch gründlicher. Mit der „Mein Bauch gehört mir“-Kampagne beispielsweise habe die Frauenbewegung dabei geholfen, bevölkerungspolitische Maßnahmen „in die Hand von Frauen selbst zu legen“. Was als Befreiung gedacht war, entpuppt sich in den Augen Trumanns als Disziplinierung. Glaubt man oder frau der Autorin, hat die Frauenbewegung also weniger die einzelne emanzipiert als fit für den Neoliberalismus gemacht. Denn Selbstbestimmung unter gegebenen kapitalistischen Verhältnissen könne es „gar nicht geben“, und sämtliche daran orientierte Forderungen führten in dieser Gesellschaft „doch nur zur Internalisierung von Herrschaft“. Gefehlt hätte es deshalb vor allem an staats- und kapitalismuskritischen Auseinandersetzungen.

Wie jede Denunziation sozialer Bewegungen als Modernisierungsbewegung kapitalistischer Verhältnisse, läuft auch die fundamentale Kritik Trumanns permanent Gefahr, es sich zu einfach zu machen: Es gibt eben eine Ambivalenz zwischen Integration und Befreiung. Wer diese zugunsten der eigenen Radikalität ausblendet, redet die realen Fortschritte, d.h. Verbesserungen in den konkreten Lebensverhältnissen klein oder verkennt sie letztlich ganz. Als der theoretische Schlüssel aber für die durchweg negative Bewertung der emanzipativen Versuche der Frauenbewegungen erweist sich Trumanns Staatsverständnis. Der Staat taucht selbst bei ihr in erster Linie als Repressionsinstitution auf und nicht als Knotenpunkt verschiedener Herrschaftstechniken. Jede der tatsächlichen Übereinstimmungen zwischen Frauenforderung und staatlicher Politik ist für sie deshalb schon Beleg für die staatsgemäße Verdinglichung der Frau. Spätestens die Behauptung, daß es „kaum mehr eine Differenz“ zwischen Frau und Staat gäbe, dürfte sich doch als grobe Vereinfachung erweisen.

Als plausibel erweist sich Trumanns Fundamentalkritik allerdings wieder im Hinblick auf institutionelle Frauenpolitik. Wer hier profitiert, resümiert sie vor dem Hintergrund der egalitären feministischen Ansprüche, sei vor allem „eine Gruppe: deutsche, gut ausgebildete Frauen“. Ihr materialistischer Ansatz erweitert hier die Kritik an den Ausschließungen des Feminismus, die politisch im Anschluß an Kritik von Migrantinnen und theoretisch im Gefolge Judith Butlers in den 1990er Jahren formuliert worden war. Allein deshalb ist es, angesichts des Booms einer über weite Strecken gesellschaftliche Existenzweisen ignorierenden queer-Theorie, ein lesenswertes, wenn auch streitbares Buch.

Jens Kastner

Andrea Trumann: Feministische Theorie. Frauenbewegung und weibliche Subjektkonstitution im Spätkapitalismus, Stuttgart 2002 (Schmetterling Verlag), 204 S., 10,- Euro.



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