in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Wien, Band XVI, Heft 2, Frühjahr 2010, S. 73.

Luis Camnitzer. Daros Exhibitions, Zürich, 11. März bis 4. Juli 2010.

Text: Jens Kastner


Ein Bleistift hängt ziemlich in der Luft und zieht eine bleierne Spur hinter sich her. Diese hält ihn dort. Hinter Glas und mit dem Titel „Das Instrument und sein Werk“ (1976) versehen, treffen die Betrachtenden auf eine Kunst, die ohne AutorIn ganz gut auskommt. Die Spur aber stützt sich auf den Rahmen, dort findet sie Halt. In dieser einen Arbeit ließe sich so etwas wie ein zentrales Prinzip der künstlerischen Arbeiten Luis Camnitzers ausmachen. Wenn der/ die AutorIn auch mittlerweile Tausend Tode gestorben ist, die Autorisierung lebt. Ohne Rahmung, sei sie aus Holz wie in diesem Fall oder eine Institution des Kunstfeldes, gibt es keine Kunst. Camnitzer gehört zu den ProtagonistInnen einer konzeptuellen Kunstströmung, die sich in Lateinamerika in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren formierte. Der in Uruguay aufgewachsene, im norddeutschen Lübeck geborene und in New York lebende Künstler hat diese Bewegung mit geprägt, und dies nicht nur durch seine künstlerische Arbeit. In seinem 2007 erschienen Buch „Didactics of Liberation“ hat Camnitzer eine nicht weniger ausführliche als polarisierende Geschichte jener Bewegung vorgelegt.
Mit dem Buchtitel bereits schreibt er den Konzeptualismus in Lateinamerika in eine Tradition ein, die weniger eine künstlerische als vielmehr eine soziopolitische ist. Historischer Bezugspunkt ist hier nicht in erster Linie Marcel Duchamps ready made-Kritik von Autorschaft und Museum. Es sind stattdessen die politischen und sozialbewegten Bemühungen um die Bildung der unteren sozialen Klassen („educación popular“). Dass Kunst einen solchen Bildungsauftrag umgesetzt oder dessen Umsetzung zumindest angestrebt hat, unterscheidet laut Camnitzer auch die konzeptuellen Arbeiten in Lateinamerika u.a. von jenen in den USA und Großbritannien.

Von den Dingen zu handeln, sei die erste Aufgabe der Erziehung. Von denen, die sie besitzen, die zweite. In diesem Motto des Aufklärers Simón Rodriguez (1769-1854) sieht Camnitzer eine inhaltlich wie formal paradigmatische Vorarbeit für die konzeptuelle Kunst in Lateinamerika. Denn Rodriguez hatte mit seinem Satz nicht nur ein Programm formuliert, sondern die Formulierung – teils Fett gedruckt und verschoben gesetzt – auch in eine Form gebracht. Dass Camnitzer selbst in seiner künstlerischen Arbeit Fragen der Repräsentation sehr ernst genommen hat, zeigt die Schau in den Zürcher Daros Exhibitions mit Werken und Konzepten Camnitzers seit 1968. Zwei große, in monotonem Grau ausgemalte Wandflächen bebildern dabei auch, was der Künstler von der schwer didaktischen, gar propagandistischen Wandmalerei hält, die vom Mexiko der 1920er Jahre ausgehend auf die Aufklärung der Bevölkerung setzte. Seine Persiflage präsentiert keine anzueignende Wirklichkeit, sondern nur noch die aufs Grau geschriebenen Maßangaben der Arbeit selbst plus Signatur auf der einen, sowie die angeheftete Rechnung für die Farbe und den Stundenlohn der Maler auf der anderen Fläche. Die eine nennt sich „Original Mural Painting“, die andere ist wohl eine Kopie. So zielt Camnitzers Arbeit eher darauf, die Produktionsprozesse und -bedingungen des Kunstschaffens zu veranschaulichen. Und das gelingt ihm gut. In einer anderen Arbeit können sich die AusstellungsbesucherInnen weiße DIN A4-Blätter, auf denen Sätze stehen wie „Die Seele der Kunst wohnt in der Unterschrift“ mit Signaturen des Künstlers selber stempeln. Und dann für einen Franken pro Seite kaufen. Das macht jene Form der Autorisierung aus, die im Autor nicht das Schöpfergenie, sondern eine strukturgestützte Situation braucht. Da können dann auch die Betrachtenden einbezogen werden. Sie Situation ist ein Sprechakt in einem bestimmten Rahmen.
Mit werkgeleiteten Hinweisen wie diesen wird in der Ausstellung auch ein wenig der von Camnitzer selbst so stark gemachte Gegensatz zur konzeptuellen Kunst aus den USA relativiert. Denn auf die Funktionsweisen der Kunstwerkproduktion samt Rolle der Kunstfeldinstitution war man hier durchaus ebenfalls spezialisiert. Die Nähe, die Camnitzer als Kunsthistoriker zwischen Kunstpraktiken der 1960er und 1970er Jahre in Lateinamerika und gleichzeitig agierenden sozialen Bewegungen wie der uruguayischen Stadtguerilla Tupamaros herstellt, lässt sich in den in Zürich gezeigten künstlerischen Arbeiten hingegen kaum erahnen. Zu einer Rezeption, die das Politische ausklammert, müssen sie aber keinesfalls führen. Während Camnitzers beeindruckende „Serie zur Folter in Uruguay“ (1983/84), die auf der Documenta 11 in Kassel (2002) gezeigt worden war, seine Haltung gegen die Militärdiktatur überdeutlich vorgeführt hat, legt die Zürcher Ausstellung ihren Schwerpunkt eher auf die repräsentations- und kunstfeldanalytischen Aspekte seiner Arbeiten. Dass die zuweilen sehr ironisch daherkommen und recht witzig sein können, davon verschaffen nicht nur die erwähnten Wandgemälde und der Unterschriften-Stempel einen Eindruck. Eine gesamte Raumausstattung hat Camnitzer eingerichtet, nur aus aufgeklebten Worten, die die Dinge – Tische, Stühle, Lampen etc. – bezeichnen, für die sie stehen (und die selbst eben nicht stehen). Eine andere Arbeit, genannt „Mehrwert“ (1979), zeigt einen roten Wollhandschuh hinter Glas, daneben ein Schreiben Camnitzers an andere KünstlerInnen. Darin fordert er diese auf, sich den Handschuh überzustreifen und den dafür angesetzten, finanziellen Wert in eine Liste einzutragen. Der Gesamtbetrag, gestiftet durch die quasi magischen Berührungen der Künstlerhände, macht dann den Mehrwert aus. „Soziale Magie“ hatte Pierre Bourdieu die Autorisierung genannt, jene Erzeugung von Legitimität, auf der ein Wert sich gründet. Die Erkenntnis, dass solche Wertschöpfung mit Status und Macht zu tun hat, die nicht allein im Kunstfeld generiert wird, liegt dann in nicht allzu weiter Ferne. Und genau in der Offenlegung dieser Parallele, die sich inner- und außerhalb des Kunstfeldes in der Herstellung von Gültigkeit und Autorität auftut, kann sicherlich als eine Form der von Camnitzers Arbeiten ausgehenden, politischen Bildung gesehen werden. An der Erzeugung des Rahmens, in denen die Bedeutungen der Zeichen und ihr Wert ausgehandelt werden, sind die KünstlerInnen, wie ironisch gebrochen sie auch immer signieren, nie unbeteiligt. Im Gegenteil. Eine stete Herausforderung bleibt den politisch Kunstschaffenden die Feststellung, wie Camnitzer in einem Text zu Korruption und Kunst von 1995 bemerkt, dass „dasselbe Kunstwerk, das meinen Intentionen als Künstler entspricht, gleichzeitig ein kommerzieller Gegenstand ist.“ Das Blei des Bleistifts wiegt schwer.



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