in: Kultur & Gespenster, Heft 4, Hamburg, Frühjahr 2007, S. 244-254.

ART AFTER CONCEPTUAL ART – REVIEW

Die Generali Foundation in Wien beginnt mit „Art after Conceptual Art“, herausgegeben von Alexander Alberro und Sabeth Buchmann, die Reihe Sammlung Generali Foundation (Hrsg. von Sabine Breitwieser). Damit treten nicht nur die Beitragenden, sondern die institutional critique an sich zu einem Heimspiel an. Max Hinderer und Jens Kastner sprechen über Kritik, Arbeit und die Arbeit am Begriff der konzeptuellen Kunst.

MH: Jens, kurz vorweg, als „Art after Conceptual Art“ in Wien präsentiert wurde, war das im Rahmen eines gleichnamigen Symposiums, bei dem ja auch einige der Beiträge referiert wurden. Du hast auf transform.eipcp.net auch einen Kommentar veröffentlicht. Schon im Titel („Nur nicht überpolitisieren! oder: Design statt Institutionskritik“ [1]) klingt an, dass du vor allem die Verbindung von konzeptueller Kunst und sozialen Bewegungen vermisst hast. Die Geschichte der institutional critique der 1960er Jahre ist ja aufs engste mit der Verbindung von Kunstproduzierenden und Arbeiter/innen(-bewusstsein) bzw. sozialen Bewegungen verflochten. In New York beispielsweise die „art workers coalition“, in Argentinien die Gewerkschaften und die Künstler/innen (bspw. 1968 Tucumán Arde) oder in Frankreich die Situationisten mit den Studierendenbewegungen. Hast du das Gefühl, nach der Lektüre des Buches dein Fazit anders auslegen zu wollen?

JK: Danke für die Steilvorlage! Dass du diese Verknüpfung auch siehst oder ähnlich herstellen würdest, freut mich natürlich.
Die Kritik des Buches muss auf jeden Fall anders ausfallen, als der Kommentar zur Veranstaltung, nicht zuletzt weil die Beiträge nicht ganz deckungsgleich sind. Im Buch fehlt beispielsweise Rachel Weiss, die 1999 als Kuratorin eine recht wichtige Ausstellung zu „Global Conceptualism“ gemacht und auf dem Symposium darüber referiert hat. [2] Weiss war damals für ihre sehr auf politische Inhalte abhebende Ausstellung sehr kritisiert worden. Ausgerechnet diese, vergleichsweise „bewegungsnahe“ Position fehlt jetzt im Buch. Dafür hat der Band allerdings einige andere Vorzüge und viele Stärken, auf die wir sicherlich gleich zu sprechen kommen. An der Kritik allerdings, dass die Überlappungen zwischen konzeptueller Kunstproduktion und sozialen Bewegungen weitgehend ausgeblendet werden und sich stattdessen den nicht so nahe liegenden Gemeinsamkeiten von Institutionskritik und Design (Helmut Draxler) oder Konzeptkunst und Malerei (Isabelle Graw) gewidmet wird, halte ich fest. Auch wenn Draxlers Idee mir durch den Text um einiges plausibler erscheint, als sie für mich durch den Vortrag vermittelt wurde.

MH: Zu der von Rachel Weiss kuratierten Ausstellung im Queens Museum of Arts, New York, gab es ja bereits einen umfangreichen Katalog. Vielleicht ein Grund für diese Publikation jetzt, anderen Texten den Vorzug zu geben und aber Weiss dennoch zum Symposium einzuladen. „Global Conceptualism“ hatte überdies Vorbildcharakter bezüglich dezentralisierter Sichtweisen auf Kunst der 2. Hälfte des 20. Jahrhundert. Eine Herangehensweise, die daraufhin auch die documenta11 auszeichnete. Der Beitrag zu konzeptuellen Strategien in der afrikanischen Kunst kam übrigens von Okwui Enwezor himself. In Bezug auf konzeptuelle Kunst weltweit bedeutete dies im Falle von Weiss’ Ausstellung genauso wie im Beitrag Enwezors, die Entstehung „konzeptueller Herangehensweisen“ aus den spezifischen regionalen und darin auch politischen Umständen heraus zu erklären. Die große Leistung von „Global Conceptualism“ war ja, deutlich zu machen, dass Konzeptkunst weder ein rein westliches Phänomen der 1960er Jahre war, noch ein „evolutionärer“ Schritt in Sachen selbstreferenzielle Kunst. Und genau durch diese Herangehensweise schaffte es die Ausstellung 1999 auch, den Begriff „Concept Art“ als determinierende Schublade für Kunsthistoriker/innen zu sprengen. Und hier sind wir bei einer Frage angelangt, die sich auch bei „Art after Conceptual Art“ stellt: Wann ist Wer oder Was also conceptual? Und was passiert(e) danach? Aber vielleicht überstürzen wir ein bisschen und stellen dabei genau die Fragen, die das Buch eben nicht stellen will. Neben vereinzelten, verschieden kontextualisierten Sätzen, hält sich das Buch erst gar nicht damit auf, einen kunsthistorischen Abriss zur Conceptual Art zu liefern.

JK: Einen solchen Abriss liefert das Buch zwar nicht direkt, aber es finden doch, gerade im ersten der drei Teile, in die der Band gegliedert ist, verschiedene Formen der Auseinandersetzung mit der historischen Konzeptkunst statt. Vielleicht können wir erstmal darauf Bezug nehmen.
Beispielsweise geht es in Helen Molesworth´ Beitrag „Hausarbeit und Kunstwerk“ – dessen Titel im Englischen natürlich viel eingängiger ist – um die Arbeiten von Judy Chicago, Mary Kelly, Martha Rosler und Mierle Laderman Ukeles. Molesworth stellt heraus, dass die Beschäftigung mit Hausarbeit in der Kunstwelt gering geschätzt und damit deren gesellschaftliche Wertlosigkeit sozusagen verdoppelt wurde. Dabei geht es in den besprochenen Arbeiten der genannten Künstlerinnen gerade um eine „Kritik der institutionellen Bedingungen von Kunst“ (81). Molesworth sieht in der feministischen Beschäftigung mit dem Privaten eine Möglichkeit, zu einem „erweiterten Begriff von Institutionskritik“ (82) zu gelangen. Denn die Unsichtbarkeit der Reproduktions- oder Instandhaltungsarbeit – wie Molesworth sie in Anlehnung an Laderman Ukeles nennt – ist ja zentral für patriarchale Herrschaft insgesamt. Damit schafft sie eben auch eine Verbindung zwischen feministischer Bewegung, akademischen Diskurs und der Entwicklung radikaler Positionen in der Kunst – Verknüpfungen. Deshalb gehört dieser Aufsatz für mich auch zu den lesenswertesten des Buches.
Damit wird doch auch beispielhaft verdeutlicht, was Alexander Alberro in der Einleitung als „zentral für die Befreiung der Kunst aus den Zwängen der Selbstreferenzialität“ (14) beschreibt und dem Konzeptualismus zuschreibt, findest du nicht? Hier ist zudem auch eine Überleitung zum Thema Arbeit geschaffen, die dann im dritten Teil des Buches eine wichtige Rolle spielt.

MH: Isabelle Graw eröffnet ihren Beitrag mit einer Feststellung, die ebenso für den Kanon der so genannten kritischen Kunstgeschichte steht, als sie sich auch durch das ganze Buch zieht: „Nach einer allgemeinen Definition von ‚Conceptual Art’ zu fahnden“ sei vergeblich. „Für die Conceptual Art war begriffliche Unschärfe (…) konstitutiv“ (135).
In diesem Sinne leistet dieser Band genau das, nämlich eine Befreiung des Begriffes der „Conceptual Art“, um so an diversen „anderen“ Punkten anknüpfen zu können und vielmehr an dem kritischen Potenzial der konzeptuellen Kunst anzusetzen, statt kunsthistorische Begriffe kalibrieren zu wollen. Anders als bei „Global Conceptualism“ geht es hier nicht nur darum, den Begriff Conceptual Art geographisch ausweiten zu wollen – diesem Vorhaben wird mit der Berücksichtigung lateinamerikanischer und osteuropäischer Positionen auch nachgegangen –, sondern vielmehr den Begriff von verschiedenen Seiten zu durchleuchten und für verschiedene Diskurse kritisch fruchtbar zu machen. Auch die Wahl des Titels ist eine Anspielung auf ein solches Vorhaben. Bezieht sie sich doch einschlägig auf Joseph Kosuths Aufsatz „Art After Philosophy“ von 1969, den Alberro in seiner Einleitung „polemisch“ nennt (13). Ein Text, in dem Kosuth emphatisch Hegel das Wort verdreht und von dem Ende der Philosophie und dem Anfang der Kunst als Tendenz des 20. Jahrhunderts spricht. Damit meinte er natürlich die „Concept Art“ und implizierte diese als seine Erfindung, nach seinen Definitionen. Zwar erfährt Kosuth durch den Titel eine gewisse Würdigung – als relevanter Künstler der historischen Konzeptkunst –, im Grunde aber sagt Art After Conceptual Art so etwas wie: Lasst uns doch einfach mal Kosuth einklammern, bzw. ausklammern. Denn für dieses Buch kann man Kosuth (und gleichartige, selbsternannte Wortführer) tatsächlich abstrahieren, weglassen. Beschäftigen sich doch die meisten der Beiträge gerade mit der Überwindung von verhärteten dialektischen Modellen und binären Strukturen.
So ist der gesamte erste Teil des Buches (I. Nach der Konzeptkunst) mehr oder weniger daraufhin ausgelegt, kunsthistorische Festschreibungen von konzeptueller Kunst nicht zu Bedienen. Benjamin H.D. Buchlohs Beitrag beispielsweise umgeht die explizite Bezugnahme auf „Concept Art“ – mit großem C und als Bezeichnung einer kunstgeschichtlichen Kategorie –, indem er eine Genealogie konzeptueller Praktiken – mit kleinem K im Sinne eines Adjektivs – von Dada bis zur Videoinstallation, entlang des Begriffs der Montage entwickelt. Um gleich im zweiten Beitrag rückwirkend von Thomas Crow kritisiert zu werden, weil er in einem anderen, in diesem Buch mehrfach zitierten, Aufsatz „From the Aesthetic of Administration to Institutional Critique“, die Konzeptkunst als abgeschlossen behandelte. Dagegen fordert Crow, „wenn die Geschichte der Konzeptkunst (…) einen kritischen Wert haben soll“, dann müsse sie „lebendig sein und zur Verfügung stehen, statt abgeschlossen zu sein“ (63). Und auch der von dir bereits erwähnte Beitrag von Helen Molesworth macht klar: „Als fest kodifizierte ‚Bewegung’ (wie sehr innerlich zersplittert auch immer) verliert feministische Kunst ihre Transformationsmacht“ (76). Molesworth’ Feststellung gilt natürlich gleichermaßen für die konzeptuelle Kunst und macht damit besonders deutlich, dass den meisten Beiträgen eine nachmoderne Selbstverständlichkeit das Anliegen zu sein scheint. Und entsprechend ist das zweite Kapitel benannt: II. Auflösung binärer Strukturen.

JK: Das Anliegen des Buches ist es sicher nicht, im Nachhinein Kriterien für Konzeptkunst festzulegen. Da gebe ich dir Recht. Dennoch gab es bei dem eingangs erwähnten Symposium eine kurze Auseinandersetzung um genau diese Frage. Eine Antwort gab es nicht, aber mir hat sehr gefallen, dass die Frage überhaupt gestellt wurde. Denn ich denke, dass weder alle Genregrenzen hinfällig sind, noch, dass alle binären Strukturen unbedingt aufgelöst werden sollten. Auch nicht, wenn Isabelle Graw die Suche nach einer Definition als Fahndung beschreibt und Differenzierungen damit in die Nähe polizeilicher Praxis rückt. Im Kunstfeld gibt es, wie in der Gesamtgesellschaft auch, Antagonismen, unversöhnbare Widersprüche. Derer kann man sich nicht entledigen, indem man sie – auch bei aller Performanz der Kunsttheorie – nicht mehr beschreibt. Ich stimme beispielsweise auch der einfachen Unterscheidung zu, die Benjamin Buchloh trifft, wenn er schreibt, dass die „Methoden der Appropriation und Montage“ dazu zu führen, den/die BetrachterIn zu Subjekten zu machen, während es bei der Malerei letztlich immer ein „im Mittelpunkt stehender Autor“ (48) ist.
Wovon sollte der Begriff Conceputal Art befreit werden?

MH: Gut, von „Befreiung“ zu sprechen klingt vielleicht etwas heroisch. Aber ich denke, es ist nicht unangebracht von einer „Überwindung“ oder so etwas zu reden und zwar genau in Zusammenhang mit dem vorher angesprochenen kritischen Potenzial, das in konzeptuellen Praktiken gesehen wird. Gerade bei Buchlohs Beitrag merkt man, dass der Begriff sozusagen umschifft wird. Während Buchloh später, in seinem bereits erwähnten From the Aesthetic of Administration-Aufsatz vorschlägt, die Geschichte der Konzeptkunst abzuschließen, kümmert er sich in seinem Beitrag hier bereits darum, eine mögliche alternative Erzählung zu entwerfen, ohne das viel beschworene kritische Potenzial dafür aufzugeben, sondern schlichtweg zu verlagern – wie zum Beispiel in der „einfachen Unterscheidung“ die du nennst . Was ich damit meine ist, dass es eine gewisse Unzufriedenheit mit der Kanonisierung des Begriffes „Concept Art“ bei den Herausgeber/innen zu geben scheint. Und solch einen Text als ersten in den Band aufzunehmen, genauso wie die Wahl des Titels, unterstreichen dies.

JK: O.K., man kann sich sicher darüber streiten – falls du darauf hinaus willst –, ob der Begriff „Concept Art“ nicht besser für eine bestimmte Ära Ende der 1960er Jahre und ganz bestimmte, damals aktive KünstlerInnen reserviert bleiben sollte und man dann eher von „konzeptueller Kunst“ oder „konzeptuellen künstlerischen Praktiken“ spricht….

MH: …ja, genau darauf will ich hinaus. Dennoch ist dies eine zentrale Frage und eher strukturell zu betrachten. Es geht eben nicht darum, wer wann was konkret gemacht hat. Von „konzeptuellen Praktiken“ zu sprechen, statt verkürzend von Konzeptkunst, ist auch eine Geste. Ich denke man kann über das Buch und den darin enthaltenen Herangehensweisen einiges herausfinden, wenn man die Frage nach den Begrifflichkeiten stellt. In gewisser Weise ist genau diese Frage auch wie ein Scharnier innerhalb des Buches. Und wenn wir schon über Scharniere sprechen, sehr bildlich tritt dies in Ricardo Basbaums Aufsatz „Innerhalb der organischen Linie und danach“ hervor. Basbaum bezieht sich auf bestimmte formale Entwicklungen im Werk der brasilianischen Künstlerin Lygia Clark, die sie selbst an der von ihr benannten „organischen Linie“ festzumachen versuchte. Basbaums Entwurf einer organischen Linie greift aber wesentlich weiter und bedient sich bei Foucault, um dann deleuzianisch zu werden. Es handle sich nicht um eine „Linie, die jemand gezogen oder geschnitzt hat, sondern um das Resultat eines Kontakts zwischen unterschiedlichen Oberflächen (Ebenen, Dingen, Objekten oder Körpern und sogar Konzepten)“ (97), ein Ort des Werdens, „ein Denken des Vielfältigen“. Basbaum unternimmt es, nicht nur der Riege der immer angeführten Väter der Konzeptkunst (Duchamp, Klein, Rauschenberg, Johns) eine Mutter hinzuzufügen, nämlich Lygia Clark, sondern er versucht gleich auch an Clark anschließend, die konzeptuelle Kunst um ein Moment des Körperlichen zu bereichern.

JK: Basbaum bezieht die körperbetonte Praxis Clarks dann auf heutige Biopolitik. Entweder ist mir dabei etwas entgangen, oder Basbaum vereindeutigt dabei zu sehr, wenn er Clarks Versuche, Kunst und Leben zu verbinden, für aktuelle Widerstandspraktiken in Anschlag bringen will. Das ist mir zwar sympathisch, analytisch gesehen klammert es aber, sofern ich das richtig gelesen habe, genau die Ambivalenz des Lebens oder des Lebendigen in dieser Formation aus: Biopolitik heißt ja – in Anlehnung an Foucault oder Agamben –, dass Herrschaft sich eben dieses „Lebendige“ zueigen macht und man es eben nicht mehr so hippiemäßig der „verwalteten Welt“ gegenüber stellen kann.

MH: Dennoch finde ich Basbaums Aufsatz vergleichsweise erfrischend, z.B. wenn er  der historischen Konzeptkunst eine „philosophische Naivität“ nachsagt, „berief sie sich doch hauptsächlich auf anglo-amerikanische analytische Philosophie und Sprachtheorie“ (109). Solche Sätze zu lesen macht natürlich Spaß. Wenn man sich die weiteren Beiträge im Buch anschaut, scheint Basbaum dann für alle zu sprechen, wenn er dem Vorhergehenden anschließt, dass die Concept Art, „(w)enn sie ihrem modernistischen Impuls zur Selbstreferentialität in den 1970er Jahren hätte entkommen können, sie vielleicht in der Lage gewesen [wäre], philosophischen Praktiken zu begegnen, die ihr eine völlig andere Richtung hätten geben können“. Und genauso passiert es eigentlich in diesem Buch: Die Conceptual Art wird von verschiedenen Seiten aus aufgegriffen, unter Berücksichtigung verschiedener poststrukturalistisch beeinflusster  Ansätze (wenn es das ist, was Basbaum meinte);  es wollen  dialektische Analyseformen und kantige, kunsthistorische Determinationen überwunden werden um an diversen aktuellen Diskursen anzuknüpfen, was ja auch gelingt. Das ist jetzt sehr verkürzt, klingt aber eigentlich gar nicht schlecht. Allerdings gibt es auch einige Auffälligkeiten die dieses wirklich slicke Format, das der institutionellen Institutionskritik, in ihrer tautologischen Logik etwas ankratzt und alles nicht so ganz reibungslos funktionieren lässt. Das fängt schon inhaltlich an, wenn beispielsweise bereits im Vorwort die Herausgeberin der Reihe und Leiterin der Generali Foundation, Sabine Breitwieser, aus dem marxistischen Seth Siegelaub einen vorausgreifenden, postfordistischen Unternehmer macht.

JK: Um dieses Argument geht es ja auch im dritten Teil des Buches – Konzeptkunst: Post-, Neo- und neues Genre – sehr stark. Hier sticht in meinen Augen der Aufsatz von Sabeth Buchmann hervor. Und zwar deshalb, weil sie eine zentrale gesellschaftstheoretische Debatte – die um die immaterielle Arbeit – auf das künstlerische Feld bezieht und anhand einer ganz konkreten Ausstellung („The making of“, Generali Foundation Wien, 1998) durch diskutiert. Was sie für Dorit Margreiters Raum- und Videoinstallation „Into Art“ beschreibt, lässt sich wohl auch als ihre allgemeine These herausstellen, dass nämlich die „konfliktive Auseinandersetzung um das (kritische) Öffentlichkeitspotenzial von Kunst findet hier nicht an klar definierten Frontlinien statt, sondern inmitten einer Umgestaltung gesellschaftlicher Arbeitsverhältnisse, deren konstitutiver Bestandteil sie ist.“ (215)

So wichtig die Auseinandersetzung um die Vorreiterrolle künstlerischer Lebens- und Arbeitsentwürfe für neoliberale Paradigmen sind – Flexibilität, Mobilität, Selbstverantwortung etc. –, so wichtig finde ich auch, diese Rolle nicht überzubewerten. Ich stimme beispielsweise nicht Luc Boltanski und Ève Chiapello überein, die behaupten, die „Künstlerkritik“ der 1960er Jahre, die auf die Freiheit und Selbstbestimmung gegen den grauen Fabrikalltag gesetzt habe, sei Schuld am „neuen Geist des Kapitalismus“ (so der Titel ihres Buches).
Auch wenn man davon ausgeht, dass Wertschöpfung heute nicht mehr in allein in der Industrie geschieht und wir mit Antonio Negri oder Maurizio Lazzarato von der „gesellschaftlichen Fabrik“ auszugehen haben, ob die „dematerialisierten Objekte“ der Konzeptkunst zur Durchsetzung der „immateriellen Arbeit“ geführt haben, wie auch Buchmann es nahe legt, ist eine ganz andere Frage. Vielleicht bin ich da zu sehr Traditionalist oder Materialist, ich sehe in dieser Sichtweise jedenfalls eine gewisse defätistische Tendenz.

MH: Ich denke du bist in jedem Fall anders politisiert, was vielleicht sogar ganz gut ist, wenn wir über Dienstleistungen für die Generali Foundation sprechen. Es ist natürlich ein kompliziertes Feld. Gerade Buchmanns Aufsatz tendiert ja dazu, vor dem kritischen Dispositiv das die Generali Foundation bietet, wiederum selbstrefenziell zu sein. Sie kann ja auch nur schwer nicht über sich schreiben, wenn sie über andere Produktionen für die Generali schreibt. Dahingehend finde ich es gut, die Sache gleich richtig in die Hand zu nehmen und die institutionellen Verwicklungen denen man als Produzent/in in Bezug auf die Generali ausgesetzt ist nicht nur zwischen den Zeilen zu belassen. Das treibt Henrik Olesen gewissermaßen auf die Spitze, wenn er seinen Beitrag nennt: Vertragsgebundene Begrenzung durch die Vorgabe von maximal 40 000 Zeichen (ohne Leerzeichen). Wie ich vorhin schon sagte, es sind eher andere Dinge, die ich an diesem Buch schwierig finde. Eben die Geste Sabine Breitwiesers, Seth Siegelaub für ihre institutionelle Programmatik als vermeintlichen, ideologischen Schirmherren herhalten zu lassen. Oder wenn Buchloh ständig von Benjamins Allegorietheorie spricht, aber kein einziges Mal Benjamins Trauerspielbuch zitiert, dem Ursprung seiner Allegorietheorie, sondern mit Verweisen auf Texte kommt, in denen das Wort Allegorie erst gar nicht vorkommt. Das geht nicht so ganz auf und wirkt dann wie im Fahrwasser der einschlägigen (US-amerikanischen) „Postmoderne“-Texte über bildnerische Verfahren, die sich gerne, aber auch etwas unspezifisch, bei Benjamin bedient haben. Und auch auf formaler Ebene wirkt beispielsweise Isabelle Graws „Brechen der traditionellen Front“ (so Alberro, 21) zwischen konzeptuellen und expressiven Bildpraktiken als gewollte Geste etwas sperrig. Aber, weil ich vorhin schon von Gesten sprach, Basbaum schreibt, die organische Linie sei „nichts einfach der Welt Gegebenes, sondern muss durch eine Intervention produziert und aktiviert werden, durch eine Geste, die Dinge eröffnet und einen neuen Fluss von Problemen, Situationen und Ereignissen herstellt“ (110). Es gibt in Verbindung hiermit eine wirklich schöne Sache, die zwar etwas ungewollt erscheint, aber definitiv für Verunsicherung sorgt. Gerade Ricardo Basbaums Text über die „organische Linie“, ist auf Grund eines editorischen Fehlers (?), den man auch gerne übersieht, quasi nicht deckungsgleich mit sich selbst und sorgt dadurch für das vielleicht subversivste Moment im Buch. Während Basbaums Aufsatz vorne im Inhaltsverzeichnis als letzter Beitrag dem ersten Kapitel unter I. Nach der Konzeptkunst zugerechnet wird, erscheint er aber faktisch beim durchblättern des Buches erst nach dem Beginn des zweiten Kapitels unter II. Auflösung binärer Strukturen. Das finde ich toll. Mit Sicherheit eine gelungene organische Begegnung.

JK: Ja, das auf jeden Fall. Ein super Buch.

MH: Vor allem unglaublich dicht. Es bliebe noch einiges mehr zu sagen.


Art After Conceptual Art
hrsg. von Alexander Alberro und Sabeth Buchmann
Reihe Sammlung Generali Foundation
hrsg. von Sabine Breitwieser
Mit Aufsätzen von Edit András, Ricardo Basbaum, Benjamin H.D. Buchloh, Sabeth Buchmann, Thomas Crow, Helmut Draxler, Elizabeth Ferrell, Isabelle Graw, Helen Molesworth, Luiza Nadar, Henrik Olesen, Gregor Stemmrich.
Dt. und engl. Ausgabe, 272 bzw. 240 Seiten, 71 bzw. 73 s/w Abb., Softcover, EUR 29,90. Dt. Ausgabe, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln
Engl. Edition, The MIT Press, Cambridge/Mass. London/England


[1] Verfügbar unter http://transform.eipcp.net/correspondence/1163769573?lid=1164801404 (11.02.2007)
[2] Die Ausstellung fand vom 28. April bis 29. August 1999 im Queens Museum of Art in New York statt und wurde anschließend noch im Walker Art Center, Minneapolis und im Miami Art Museum, Miami, gezeigt. Vgl. Queens Museum of Art, New York (Hg.): Global Conceptualism. Points of Origin 1950s-1980s, New York 1999 (Queens Museum).



Mehr zum Thema konzeptuelle Kunst:

Víctor Muñoz: "Die Dinge konnten nicht so bleiben, als wenn nichts passiert wäre"
Kunstproduktion und soziale Bewegungen im Mexiko der 1970er Jahre.
Ein Interview von Jens Kastner
in: Das Argument, Nr. 293, Heft 4/2011,  53. Jg., Berlin, S. 515-522.
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Der Mehrwert der Kunst
Der lateinamerikanische Konzeptkünstler Luis Camnitzer in den Zürcher Daros Exhibitions
in: Jungle World, Nr. 14/2010, Berlin, 8.April 2010, dschungel S. 10-11.
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Vom Erbe ergriffen
Strategien künstlerischer Politik in Lateinamerika
in: Lateinamerika Nachrichten, Berlin, Nr. 400, September/Oktober 2007, S. 52-55.
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Luis Camnitzer: Conceptualism in Latin American Art: Didactics of Liberation, Austin, TX 2007 (Texas University Press).
in: Lateinamerika Analysen, Heft 18, Hamburg, 3/2007, Herausgegeben vom German Institute for Global and Area Studies/ Institute for Latin America Studies (GIGA), S. 244-245.
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