in: ak – analyse & kritik, Nr. 633, Hamburg, 12.12.2017.

Das faule Handeln und die Emanzipation
Der Soziologe Maurizio Lazzarato interpretiert Marcel Duchamps Verweigerungshaltung


Vor einhundert Jahren ließ Marcel Duchamp ein signiertes Pissoir in eine Kunstausstellung stellen. Indem der als „Fountain“ betitelte Alltagsgegenstand als Kunst anerkannt wurde war klar: Der Mythos von Genie und Schöpfertum ist zerstört. Fortan machte der Kontext –Institutionen etc. – die Kunst und weder Innerlichkeit noch das Material und seine Form sind dafür ausschlaggebend. Duchamp machte dann nicht mehr viel. Er wollte eigentlich kein Künstler sein. Diese Verweigerung Duchamps nennt der Soziologie Maurizio Lazzarato nun das „faule Handeln“ (22). Er sieht darin zugleich eine sozioökonomische Kritik an der Kommerzialisierung des Kunstsystems und eine philosophische Kategorie, die Handeln, Zeit und Subjektivität neu ordnet. Das „faule Handeln“ ist grundsätzlich gegen jenes rational kalkulierte Verhalten gerichtet, „für das der Zweck, nämlich das Geld, alles ist und der Prozess nichts.“ (53) Lazzarato, der der postoperaistischen Theorie zuzurechnen ist, bespricht nicht nur die individuelle Haltung Duchamps, sondern weist gleich zu Beginn auch auf eine kollektive Tradition der Weigerung hin: „Die Verweigerung der Arbeit ist vielleicht die wichtigste politische Kategorie des italienischen Operaismus.“ (9) Befreiung, so die Auffassung innerhalb dieser neomarxistischen Strömung, lasse sich nicht im Kampf um die Arbeit – ihre Verbesserung, ihre Verkürzung etc. – erreichen, sondern nur im Kampf gegen sie.
Die Idee, das „faule Handeln“ Duchamps mit den Politiken der radikalen ArbeiterInnenbewegung kurzzuschließen, ist gerade in einer Gegenwart bestechend, in der die künstlerischen Produktions- und Lebensmodelle mit ihrer Flexibilität und Leidenschaft zum Prototyp für alle möglichen Arbeitsverhältnisse geworden sind. Oder zumindest zur Anforderung an alle möglichen Jobs. Allerdings bleibt die Ausführung dieser Idee dann Antworten schuldig. Die Fragen dazu betreffen sowohl die Theorie als auch die Politik:

Theoretisch ist die Arbeitsverweigerung immer als Prozess betrachtet worden, der auch die Identifikation mit der Arbeit durchbricht. „Das faule Handeln“ schreibt Lazzarato dementsprechend „ist eine Operation der Entklassifizierung, die es erlaubt, sich aus den Unterwerfungen zu lösen, insbesondere aus der Identifikation mit dem Beruf.“ (41) Die Frage stellt sich allerdings, wann und unter welchen Bedingungen ein solcher Bruch gelingt. Das Tun des/der einzelnen Kunstschaffenden wird aber überhaupt nicht auf seine kollektiven – soziobiografischen, klassenbezogenen – Voraussetzungen befragt. Auch wenn Lazzarato die Unterschiede zwischen Massenstreik und individueller Verweigerungshaltung durchaus bewusst sind, er greift sie nicht mehr auf. Die Gelingensbedingungen effektiver Brüche werden, wie in anderen postoperaistischen Ansätzen auch, ausgeklammert. Aber das individuelle Handeln eines Sohnes aus dem Bürgertum, der schon zu Lebzeiten als Wegbereiter der modernen Kunst gefeiert wurde, lässt sich eben nicht verallgemeinern. Das führt auch zur politischen Frage nach den Möglichkeiten, sich gegenüber den „Machtdispositiven“ (26) zu positionieren, die jede Produktion rahmen. Was nützt die persönliche Verweigerung politisch, wenn sie niemand wahrnimmt?

Interessanter als der titelgebende Text ist in dieser Hinsicht der zweite Teil des Buches. Hier bezieht sich Lazzarato nämlich konkret auf die Kämpfe der Intermittents in Frankreich. Die prekär Beschäftigten im Kulturbereich hatten in den letzten Jahren immer wieder mit öffentlichen Protestaktionen von sich und dem Wandel der Arbeitsverhältnisse reden gemacht. Lazzarato beschreibt diese Kämpfe unter der Überschrift „Das Elend der Soziologie“. Er grenzt sich darin von zwei Positionen ab, die als tonangebend in der Frage gelten können, inwieweit künstlerische Arbeitsverhältnisse sich verallgemeinert haben: Pierre-Michel Menger einerseits und Luc Boltanski und Éve Chiapello andererseits. Er wirft beiden Ansätzen vor, zentrale Veränderungen der Arbeitswelt nicht richtig konzipiert zu haben. Beide sprechen über Prekarisierungen immer nur als Abweichung und Ausnahme gegenüber dem Ideal der Vollbeschäftigung.
Während er Menger vorwirft, keine Ahnung vom Kapitalismus zu haben, richtet sich Lazzaratos Kritik an Boltanski und Chiapello vor allem gegen die Blindheit gegenüber tatsächlichen sozialen Kämpfen. Boltanski und Chiapello hatten ein Modell von Kritikformen entwickelt, in dem sie eine an Autonomie und Freiheit ausgerichtete „Künstlerkritik“ einer an Stabilität und sozialer Sicherheit orientierte „Sozialkritik“ gegenüberstellen. Die „Künstlerkritik“ hatten sie als unzureichend gebrandmarkt und damit letztlich gegen das „Denken von 68“ und für gewerkschaftliche Interventionsformen plädiert. Dieses dualistische Modell aber, zeigt Lazzarato, zerschellt an der Wirklichkeit. „Die sechs Worte eines Slogans der Bewegung der Intermittents du spectacle (‚Pas de culture sans droits sociaux’/ ‚Keine Kultur ohne soziale Rechte’) genügen, um die gesamte Konstruktion der politischen Subjektivierungsprozesse ins Wanken zu bringen, die Boltanski und Chiapello aufbieten“ (91). Übersetzt bedeutet das Motto schlicht „Keine Freiheit, Autonomie, Authentizität ohne Solidarität, Gleichheit, Sicherheit“. Diese Verknüpfung in seinem Text hervorzuheben, ist sicherlich das Verdienst von Lazzarato. Denn es ist nicht nur ein realistischer Blick auf soziale Bewegungen. Es weist auch in theoretischer Hinsicht darauf hin, dass Kämpfe um und gegen die Arbeit immer Kämpfe um Subjektivitäten sind.

Wenn auch die prekäre Situation keine Ausnahme mehr ist, Kampfbereitschaft und gar politische Erfolge aus dem kulturellen Feld heraus sind es allemal. Dass die „hochqualifizierten, äußerst mobilen Künstler*innen und Techniker*innen“ (90) die ersten waren, die das „Nein“ zur Prekarisierung lauthals verkündeten, wie Lazzarato betont, ist sicherlich nicht falsch. Aber genau das lässt sich eben nicht auf den gesamten Kulturbereich im Sinne einer Disposition zur erfolgreichen Verweigerung verallgemeinern. Wozu Lazzarato leider tendiert.


Jens Kastner


Maurizio Lazzaro: Marcel Duchamp und die Verweigerung der Arbeit. Gefolgt von Das Elend der Soziologie. Aus dem Französischen von Carolone Baur, Adrian Hanselmann, Vanessa Heer, Michael Grieder und Jana Vanecek für Hospiz der Faulheit und Madame Psychosis. Herausgegeben von Stefan Nowotny. Wien, Linz, Berlin, London, Zürich, Málaga: transversal texts 2017.




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