in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Band XXII, Heft 2, Wien, Frühjahr 2016, S. 72.

Murray Bookchin: Die nächste Revolution. Libertärer Kommunalismus und die Zukunft der Linken. Münster: Unrast Verlag 2015.

 

Text: Jens Kastner

Der marxistische Geograph David Harvey hatte den Ansatz von Murray Bookchin in seinem Buch Rebellische Städte gelobt und als „bei Weitem durchdachteste[n] radikale[n] Vorschlag dafür, wie Gemeingüter in verschiedenen Maßstäben geschaffen und kollektiv genutzt werden können“ bezeichnet. Auch der Linguist und Anarchist Noam Chomsky findet „originelle und provokante Thesen“ in Bookchins Werk. Damit wären dessen ideengeschichtliche Eckpfeiler auch schon benannt: Marxismus und Anarchismus. Murray Bookchin (1921–2006) war Sozialtheoretiker und Aktivist, seine Text kursierten in vielen libertären und ökologischen Bewegungen. Unter dem Begriff der Sozialen Ökologie integrierte er schon früh Umweltfragen in seine Herrschaftskritik, und der Kommunalismus stellte die praktisch-politische Dimension seines Denkens dar. Der aktuelle Band versammelt nun bislang unübersetzte Texte Bookchins aus den 1990er und 2000er Jahren.

Man möchte dieses Buch mögen – zumindest wenn man auch denkt, dass der Kapitalismus in die ökologische Katastrophe führt und dass sich zentrale Probleme für emanzipatorische Entwicklungen seit Jahrzehnten neben der Umwelt in Fragen „der Geschlechter, der Hierarchie, der Bürgerschaft und der Demokratie“ äußern. Aber Bookchin macht es einem nicht leicht, seine Antworten auf diese Fragen auch zu schätzen. Zunächst aber das Buch hat durchaus seine Stärken: Die Texte zur Geschichte der Linken und der linksradikalen Bewegungen sind von Theorie- und Detailwissen gesättigt und zugleich gut zu lesen. Besonders hervorzuheben sind die vielen unaufgeregten Schilderungen von historischen Ereignissen und Debatten. So etwa zeichnet Bookchin gewinnbringend die Diskussionen um die Nation und den Nationalismus in der Linken nach. Dass die positiven Bezugnahmen auf nationale Befreiungsbewegungen bei Marx und Engels selbst rein strategisch gedacht waren und „vielmehr ihren geopolitischen und ökonomischen Anliegen als einem weitreichenden sozialen Prinzip“ folgten, wird dabei glaubhaft vermittelt. Und hier kommt der Anarchismus noch sehr gut weg, weil ihm ein moralischer Anti-Nationalismus attestiert wird. Neuere Forschungen zum (durchaus artikulierten) Nationalismus unter AnarchistInnen während der Spanischen Revolution 1936 konnte Bookchin hier nicht mehr einbeziehen. An anderer Stelle macht er die anarchistische Feindschaft gegenüber jeder Strategie dann aber zum Grund seines Bruchs mit der libertären Weltanschauung. Während des Spanischen Bürgerkrieges hätten die AnarchistInnen die Macht, die ihnen mehr oder weniger zugefallen war, nicht mehr aus den Händen geben dürfen, urteilt Bookchin rückblickend. Nicht jede Regelung sozialer Verhältnisse sei mit staatlicher Herrschaft gleichzusetzen. Macht „in den Händen der Bevölkerung“ sei legitim und müsse auch genutzt werden. Darauf zu warten, wie er es dem Anarchismus konzeptionell unterstellt, bis die Hülle der Herrschaft durch moralische und politische Aktion dahinschmelze und die solidarische Menschheit freisetze, sei bestenfalls naiv. So weit, so nachvollzieh- und diskutierbar.

Unangenehm wird es da, wo Bookchin dann seine Konsequenzen zieht. Sein Anarchismus mit Strategie plus Marxismus ohne Bürokratie und Staat heißt Kommunalismus. Nur auf der Ebene der Gemeinde und der Stadt sei das zu errichten, was er die befreite, „rationale Gesellschaft“ nennt. Der Kommunalismus allerdings ist für Bookchin nicht eine unter vielen Möglichkeiten, die Welt zu retten. Er hält ihn für die einzige und behauptet nicht ohne Dogmatismus und Größenwahn, es sei heute „dringend nötig, dass die internationale Linke kühn von marxistischen, anarchistischen, syndikalistischen oder vagen sozialistischen Grundgedanken zu kommunalistischen übergeht.“ Dass er für poststrukturalistische Ansätze in der Linken nur Spott und Häme übrig hat, führt schließlich auch zu einer Blindheit gegenüber den Problematiken jener „Rationalität“, auf der er die neue Gesellschaft aufgebaut sehen will. Auch von der Kritischen Theorie hätte er ja lernen können, dass Rationalität nicht unbedingt frei von Herrschaft ist. Auch der Sklavenhandel war rational, aus der Sicht der Plantagenbesitzer. Und auch in der Perspektive der Dominierten entbehrt es nicht des rationalen Kalküls, für „die Eigenen“ mehr rausschlagen zu wollen als für „die Fremden“, wenn sie sich dem Front National, den Wahren Finnen oder anderen ultrarechten Ungleichheitsfanatikern zuwenden. Und seine „minimale Vorbedingung“ für die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit unter kommunalistischen Vorzeichen, der „technologische Fortschritt“, ist in seiner fundamentalen Bejahung angesichts der Klimakatastrophe nicht weniger verwunderlich und zu kritisieren als bei den akzelerationistischen TheoretikerInnen. Anders als deren Konzepte allerdings ist Bookchins Vision nicht allein akademische Theorie, sondern tatsächlich auf soziale und politische Praxis ausgelegt. Nicht zufällig finden seine Vorschläge in den kurdischen Befreiungsbewegungen einigen Anklang. Angeblich hat Bookchin PKK-Chef Öcalan vom Marxismus-Leninismus zum demokratischen Föderalismus bekehrt. Das schließlich dürfte nicht nur Chomsky und Harvey freuen.


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C. B. Daring, J. Rogue/ Deric Shannon/ Abbey Volcano (Hg.): Queering Anarchism. Addressing and Undressing Power and Desire. Oakland, Edinburgh, Baltimore: AK Press 2012, 256 S. [gemeinsam mit Hannahlisa Kunyik]
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