in: junge Welt, Berlin, 29.11.2004, S. 15

Revolution und Antimarxismus
Abel Paz und der Anarchismus im Spanischen Bürgerkrieg

Als George Orwell 1936 nach Barcelona kam, fand er eine Situation vor, in der nach seinen Worten die Menschen „endlich aufgehört hatten, sich wie Räderchen in der kapitalistischen Maschinerie“ zu verhalten. Dass es zu Begin des Spanischen Bürgerkrieges eine Revolution gab, hat die offizielle Geschichtsschreibung nicht selten unterschlagen. Ihre Erfolge und Niederlagen sind auch in der Linken umstritten. Um zu erfahren, wie es wirklich war, fragt man am besten jemanden, der dabei war. Oder einen Historiker. Oder beide.
Einer der letzten noch lebenden Zeitzeugen ist der Anarchist Abel Paz, bekannt geworden als Biograph des charismatischen anarchistischen Milizionärs Buenaventura Durruti. In den nun gesammelten Vorträgen und Interviews gibt Paz einerseits Auskunft über die Errungenschaften der sozialen Revolution. Die freiwillige Kollektivierung der Landswirtschaft, die Selbstverwaltung der Fabriken durch die ArbeiterInnen, der antifaschistische Kampf: Wichtige Zeitfragen sind hier in persönliche Erlebnisse gewickelt aufbereitet. Die wirklichen Erkenntnis ergeben sich allerdings erst in der Kombination mit dem höchst informativen Einführungsaufsatz des Hispanisten Martin Baxmeyer, der die auch von Paz perpetuierten Mythen der Revolution ins rechte oder linke Licht zu rücken weis. Paz: „Für Katalonien kann man sagen, dass die gesamte Industrie kollektiviert wurde.“ Baxmeyer: „Von einer vollständigen Kollektivierung der Industrie (…) konnte allerdings auch in Katalonien nicht die Rede sein.“ Ob die Revolution auch ohne militärische Bedrohung und stalinistischen Terror erfolgreich hätte sein können, ist eine kaum mehr zu klärende Frage. Dass es sie aber gab, während die werktätigen Massen in Deutschland alles andere als freiheitliche Umgestaltungen vollzogen, ist eine nicht häufig genug zu betonende Tatsache.
Während Paz so einerseits die historischen Begebenheiten der libertären Revolution vor der Vergessenheit bewahrt, bekräftigt er andererseits nebenbei so ziemlich alle Ressentiments, die andere Linke gegenüber AnarchistInnen haben: Aus der negativen Erfahrung mit den Kommnunisten während des Bürgerkrieges erwächst bei ihm ein naiver Antimarxismus, auf die Verdrehungen der offiziellen Geschichte reagiert er mit profundem Antiintellektualismus und auf die Frage, was aus 1936 zu lernen sei, weiß Paz nur, „dass man das Gleiche machen muss, was die Anarchisten damals gemacht haben.“ Die Faszination, die der heute 83jährige libertäre Kettenraucher bei seinen Lesungen auszulösen vermag, bringt das Buch nicht rüber. Dennoch ist es ein interessantes Zeitdokument.

Jens Kastner

Bernd Drücke, Luz Kerkeling, Martin Baxmeyer (Hg.): Abel Paz und die Spanische Revolution. Interviews und Vorträge, Verlag Edition AV, Frankfurt a.M. 2004, 111S., 11,-€.

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