in: Freitag, Berlin, Nr. 31, 4. August 2006, S.15

Kurze Vorstöße, lange Nachwirkungen
Drei neue Bücher analysieren den Spanischen Bürgerkrieg

Von Jens Kastner

Bereits 1979 schätzte der linke Aktivist, Künstler und Essayist Eugenio Granell die Bibliografie des Spanischen Bürgerkriegs auf „über 20.000 Bücher und nahezu zwei Millionen Dokumente aller Art“. Zum 70. Jahrestag des Kriegsausbruches am 18./19. Juli sind nun noch einige hinzugekommen. Das ist nicht verwunderlich, denn es handelt sich schließlich um ein Ereignis, durch das sich das „Gesicht Europas“ grundlegend gewandelt hat. Das schreibt der Marburger Historiker Carlos Collado Seidel in Einklang mit dem aktuellen Forschungsstand in seiner knappen, aber hervorragend kompakten Einführung in das Thema. Und tatsächlich gibt es auch Neues zu berichten. Das ist auf die Öffnung der sowjetischen Archive ebenso zurückzuführen wie auf die vielen lokalhistorischen Studien und, nicht zu vergessen, auf drei Jahrzehnte sich wandelnder Erinnerungspolitik im postdiktatorischen Spanien.

Auf ersteres stützt sich die Arbeit des britischen Militärhistorikers Anthony Beevor. In faszinierender und manchmal auch ermüdender Detailgenauigkeit zeichnet er den Kriegsverlauf im Anschluss an den Putsch der rechten Generäle gegen die Republik im Juli 1936 nach. Während die Militärs ihren Feldzug zur Errettung Spaniens und des christlichen Abendlandes antraten, verteidigte die andere Seite nicht nur die Republik – die von den ebenfalls antifaschistischen AnarchistInnen nicht gerade geliebt wurde. Die RepublikanerInnen sahen sich auch als VerteidigerInnen der Zivilisation gegenüber dem Vormarsch des Faschismus in Europa. Diese Selbstwahrnehmung der Beteiligten hatte auch Auswirkungen auf ihre Art der Kriegsführung: Auch wenn Kapitelüberschriften wie „Der rote Terror“ und „Der weiße Terror“ anderes vermuten lassen, lässt Beevor doch über die verschiedenen Methoden der beiden Seiten keinen Zweifel aufkommen. Die Gewalt auf Seiten der RepublikanerInnen habe sich außerhalb der direkten Kriegshandlungen auf „spontane und hastige Reaktionen“ auf Gräueltaten des Gegners beschränkt, während „die grausame Säuberung von `Roten und Atheisten´ auf dem Gebiet der Nationalisten jahrelang anhielt.“ Dass es sich hierbei aber um bis heute umkämpfte Fakten handelt, erfährt man von Beevor nicht. Sein monumentales, zeitgleich in verschiedenen Sprachen erschienenes Werk, tritt im Stil einer großen Erzählung auf: Mit der Diskussion verschiedener Thesen hält sich die überarbeitete Neuauflage des erstmals in den 1980er Jahren erschienenen Buches kaum auf – und ist auch merkwürdig arm an eigenen. Wo Beevor sich hervorwagt, geht es um Militärisches. Die Republik, so befindet der Ex-Militär, wäre in ihrer Kriegsführung effektiver gewesen, hätte sie auf eine konsequente Defensivstrategie gesetzt, mit „kurzen, sondierenden Vorstößen.“

Unstrittig innerhalb der Forschung ist mittlerweile sowohl die Tatsache, dass dieser Krieg in der antagonistischen Struktur der spanischen Gesellschaft wurzelte und ein Klassenkonflikt war, als auch, dass er nicht ohne den internationalen Kontext zu verstehen ist. Die verarmte Landbevölkerung war einem Jahrhunderte alten System des Großgrundbesitzes ausgeliefert und eine radikalisierte Arbeiterbewegungen stand einem mächtigen konservativen Klerus gegenüber. Das politisch schwache Bürgertum vermochte nicht zu vermitteln und ein großer Teil des einflussreichen Militärs sah sich nach einem Wahlerfolg der linken Volksfront dazu berufen, die so genannte Ordnung wieder herzustellen. Die massive Unterstützung der von General Francisco Francos geführten Militärs durch den Nationalsozialismus und den italienischen Faschismus war ebenso kriegsentscheidend wie die Nichteinmischung Großbritanniens und Frankreichs. Nicht zu vergessen die taktiererische Haltung Stalins, der der Republik überteure Waffen lieferte, aber die soziale Revolution hart bekämpfte. Dass in einigen Regionen des bald zweigeteilten Landes als Reaktion auf den Putsch auch eine von AnarchistInnen und LinksmarxististInnen getragene, libertäre Revolution stattfand, wird im Krieg wie in seiner Schilderung zur Randnotiz. Dabei machte die „von Moskau vorgeschriebene antirevolutionäre Haltung“ (Beevor) die KommunistInnen erst für das Kleinbürgertum interessant. Und hatte damit nicht wenig Anteil am Erstarken der zunächst völlig unbedeutenden Kommunistischen Partei.

Zum internationalen Ereignis wurde der Krieg aber nicht nur durch die Rahmenbedingungen. Das direkte Eingreifen der deutschen „Legion Condor“ mit etwa 15.000 Mann auf Seiten der aus Falangisten, Karlisten, Monarchisten und Militärs bestehenden Franco-Anhänger ist ebenso berüchtigt wie die Kriegsteilnahme der kommunistisch geführten Internationalen Brigaden auf Seiten der Republik. Im Gegensatz zu den deutschen, italienischen und portugiesischen Faschisten, die für Franco kämpften, handelte es sich bei den Interbrigaden um Freiwillige. Dass die Kampf entscheidende Rolle dieser insgesamt rund 60.000 AusländerInnen – darunter etwa 5000 aus dem deutschsprachigen Raum – von der KP hochgespielt wurde, nahm die Gegenseite dankbar auf. Denn es bestätigte nur die von den Franquisten heraufbeschworene „Gefahr des internationalen Kommunismus“. Ein Schreckensbild übrigens, das nicht nur den ideologischen Hintergrund für den Putsch abgegeben hatte, sondern auch der Legitimation des Nachkriegsgeschehens diente.

Denn, wie Collado Seidel betont, der Krieg war mit dem Sieg Francos am 1. April 1939 nicht zu Ende. Etwa 150.000 Menschen wurden nach 1939 Opfer der Franquisten, 270.000 wurden inhaftiert, Zehntausende gingen ins Exil. Für Beevor allerdings besteht das Andauern des Krieges vor allem darin, dass eine Reihe von RepublikanerInnen ihren Antifaschismus in der französischen Resistance fortsetzte. Für sie sei der Zweite Weltkrieg „kaum etwas anderes als die Fortsetzung des Bürgerkrieges“ gewesen. Collado Seidel hebt demgegenüber die Bedeutung der Repression der Sieger hervor. Denn dabei habe es sich nicht um die Untaten einzelner Reaktionäre, sondern „um ein systematisches politisches Projekt des Terrors zur `sittlichen Reinigung der Gesellschaft´ nach ideologischen Kriterien“ gehandelt.

Dieser Einschätzung gibt auch die Studie Recht, die der Autor diverser Standardwerke zur spanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, Walther L. Bernecker, gemeinsam mit Sören Brinkmann verfasst hat. Die Autoren zeichnen überzeugend nach, wie von Seiten der Franquisten bereits mit Kriegsausbruch alles daran gesetzt wurde, alle liberalen und sozialistischen Aspekte aus der nationalen historischen Erinnerung zu tilgen. Eine Politik, die sich letztlich bis zum Tod des Diktators im November 1975 fortsetzte. Umso erstaunlicher erscheint daher, dass sich im Übergang zur bürgerlich-demokratischen Staatsform das kollektive Schweigen über den Krieg als konsensuelle Umgangsform entwickelte. Eine, verglichen mit den Nachwirkungen des Nationalsozialismus oder auch lateinamerikanischer Militärdiktaturen, doch ziemlich einzigartige „Strategie des Konsenses“. Auf der anderen Seite aber ist der Bürgerkrieg als falsche Form politischer Konfliktlösung laut Bernecker und Brinkmann ein Erfahrungshintergrund, der selbst heute noch die spanische Politik beeinflusst. Die Bemühungen, eine Neuauflage der sozialen Konflikte der dreißiger Jahre zu vermeiden, seien „beinahe zur Obsession“ geworden. Nachdem die Debatten zum Bürgerkrieg sich zum 50. Jahrestag noch im Kreise der Fachhistorie drehten, wurden sie zehn Jahre später schließlich doch in der Öffentlichkeit geführt. Die Autoren führen dies in erster Linie auf den Druck verschiedener Bürgerinitiativen zurück, die das Thema mit der Exhumierung von Massengräbern aus der Bürgerkriegszeit auch gegen den Willen von VertreterInnen des konservativen Partido Popular durchgesetzt hatten. Bernecker und Brinkmann beschreiben Kultur und Politik des Erinnerns und scheuen dabei weder die Auseinandersetzung um die (Um-)Benennung einzelner Straßennamen, noch die theoretische Debatte um Gedächtnis und Erinnerung. Das macht ihr Buch so kurzweilig und lesenswert. In anderer Hinsicht enttäuscht es allerdings dennoch. Während von einem Militärhistoriker kaum etwas anderes zu erwarten war als das, was Beevor detailreich geliefert hat, verspricht die Veröffentlichung eines anarchistischen Verlages doch anderes, als Bernecker und Brinkmann letztlich geschrieben haben. Zwar wird die soziale Revolution, auch in all ihrer Widersprüchlichkeit, ausführlich beschrieben. Dass aber ihre Errungenschaften, Irrwege und möglichen Effekte im zweiten, eben der Geschichts- und Erinnerungspolitik gewidmeten Teil des Buches nicht mehr vorkommen, muss doch stark wundern. Zu sehr haben sich die Autoren da dem Gegenstand angepasst: Sie sitzen selbst der Rede von der „nationalen Tragödie“ auf, die sie analysieren. Und in dieser haben weder die internationalen Aspekte des Krieges noch die Revolution ihren Platz. Zu den „Sperrzonen des Erinnerns“, die Bernecker und Brinkmann im postdiktatorischen Spanien ausmachen, gehören offenbar nicht nur die von ihnen genannten Fragen der Monarchie oder die der Schuld am Bürgerkrieg. Sondern auch die soziale Revolution. Denn eines ist sicher: Die AnarchistInnen, die zu Beginn des Bürgerkrieges mit der CNT noch über die damals größte Gewerkschaft der Welt verfügten und deren unabhängige Frauenorganisation „Mujeres Libres“ wohl als die mitgliederstärkste feministische Organisation des 20. Jahrhunderts gelten kann, haben nicht nur den Krieg verloren. Sie sind auch im Kampf um die Erinnerung unterlegen.


Antony Beevor: Der Spanische Bürgerkrieg. C. Bertelsmann Verlag, München 2006, 618 Seiten, 26 Euro.
Walther L. Bernecker und Sören Brinkmann: Kampf der Erinnerung. Der spanische Bürgerkrieg in Politik und Gesellschaft 1936-2006, Verlag Graswurzelrevolution, Nettersheim 2006, 378 Seiten, 20,50 Euro.
Carlos Collado Seidel: Der Spanische Bürgerkrieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. C. H. Beck, München 2006, 220 Seiten, 12,90 Euro.


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