in: springering. Hefte für Gegenwartskunst. Wien, Band XIV, Heft 2, Frühjahr 2008, S. 58.
Forms of Resistance. Artists and the desire for social change from 1871 to the present.
Van Abbemuseum Eindhoven (NL), 22.September 2007 bis 06. Januar 2008
Text: Jens Kastner
Die Gruppe der Soldaten kommt einem bekannt vor. Die Uniformierten, die auf Manets Lithografie „Die Barrikade“ (1871) mit angelegten Gewehren in Richtung der Aufständischen feuern, entsprechen im Wesentlichen jenem Figurenarrangement aus dem „Tod Maximilians“ (1868), den Manet bereits einige Jahre zuvor in verschiedenen Versionen in Öl auf Leinwand bannte. Die Erschießung des Habsburger Kaisers in Mexiko und die Niederschlagung der Pariser Kommune 1871 von den gleichen Leuten erledigen zu lassen, war für Manet offenbar kein Problem. Fragt man aber nach Formen des Widerstands, dann ist es eines. Denn dass die Darstellungsform von mexikanischen Revolutionstruppen und französischen Konterrevolutionären einfach austauschbar sind, muss bildpolitisch unbefriedigend bleiben.
Was die Ausstellung „Forms of Resistance“ mit ihrer chronologischen Abfolge vom legendären Selbstverwaltungsexperiment in Paris 1871 bis zu den globalisierungskritischen Protesten der Gegenwart zeigt, ist vor allem eines: Zu allen möglichen Zeiten und Anlässen hat es in der Moderne Überlappungen und Austauschprozesse zwischen künstlerischer Produktion und sozialem Protest gegeben. Das in aller Ausführlichkeit hervorzukehren, ist zweifellos ein Verdienst, und zwar sowohl ein politisches wie auch ein kunsthistorisches.
Das gleich zu Beginn der Ausstellung „Forms of Resistance“ platzierte Manet-Bild stellt allerdings eine Grundsatzfrage, die die Ausstellung auch in den übrigen Räumen leider nicht beantworten kann. Welche Formen sozialen und politischen Widerstands stehen mit welchen Formen künstlerischer Gestaltung in Beziehung und warum? Warum zeigt man Barrikadenbilder eines in sozialen Protest nicht involvierten Künstlers wie Manet, während von Gustave Courbet, der als Politiker an der Kommune beteiligt war, Landschaftsbilder präsentiert werden?
Nach dem Pariser Auftakt wird der Erste Weltkrieg kommentarlos übersprungen und der/die BetrachterIn landet beim russischen Konstruktivismus. Aber warum ist der eine „Form des Widerstands“? Ging es bei dieser Kunst, die sich im Einklang mit der Oktoberrevolution befand, nicht eher um deren Radikalisierung als darum, politischen Verhältnissen zu widerstehen? Darin eine Differenz auszumachen, ist nicht nur eine Spitzfindigkeit. Denn hier ist die mangelnde Vermittlung der höchst unterschiedlichen sozialen und politischen Grundlagen des jeweiligen künstlerischen Aktivismus nur besonders offenkundig, die sich durch die ganze Schau zieht. Künstlerischer Aktivismus? Ebenfalls unvermittelt bleibt der angedeutete Gegensatz Manet/Courbet, der sich im Laufe des 20. Jahrhunderts ja bekanntlich sowohl verschärfen als auch ausdifferenzieren sollte.
In den Genuss zu kommen, ein nachgemaltes Wandbild der von 1967 bis 1970 in Chile tätigen Ramona Para Brigaden zu sehen, ist toll. Wie die ebenfalls beeindruckenden Plakate des „Atelier Populaire“ oder die innovativen Grafiken von Emory Douglas, dem Grafiker der Black Panther Party, ist es unter der Rubrik zu 1968, „The World Revolution“, versammelt. Anders als bei Manet und Courbet handelt es sich hier allerdings um Kunst, die ausdrücklich der Propaganda diente. Die Fotos zu Tucuman Arde hingegen, jener Gruppe von KünstlerInnen, die im Argentinien der späten 1960er Jahre gemeinsame Sache mit den Gewerkschaften in der verarmten Region Tucuman machte, sind schon unter „Leaving the Art World“ präsentiert. Das ist immerhin noch angemessener als unter ästhetischen Gesichtspunkten wie auf der vergangenen documenta. Ganz einleuchten kann aber auch diese Kategorisierung nicht. Douglas rief schließlich zum bewaffneten Kampf auf und seine Bilder wurden erst im Nachhinein kunstwelttauglich, während Tucuman Arde immerhin noch Galerietüren abschlossen und Kunstpublikum erschreckten.
Und überhaupt: Ist nicht der historische Testfall für die Frage künstlerischen Engagements im 20. Jahrhunderts schon der Spanische Bürgerkrieg (1936-1939) gewesen und nicht erst die Revolten von 1968? Schließlich manifestiert sich bereits hier der Unterschied zwischen der Strategie der beiden englischen Surrealisten Roland Penrose und David Gascoyne, die sich wie viele andere Intellektuelle den antifaschistischen Milizen angeschlossen haben, und jener Picassos, der für Guernica zum Pinsel statt zur Waffe griff. Ist beides künstlerischer Aktivismus? Und was davon wird ausgestellt? Geht es um Mittel des politischen Kampfes? Dann müssten die Gewehre von Penrose und Gascoyne, hätte sie jemand aufgehoben, mit nicht weniger Berechtigung als Vorläufer der Grafiken von Douglas präsentiert werden können als die Collagen von John Heartfield, die die Ausstellung zeigt. Oder geht es doch um Kunst, die von politischen Kämpfen handelt oder irgendwie in oder aus ihnen entstanden ist? Warum sind dann aber schon im ersten Raum sozialistische Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert auf der Tapete des sozialrevolutionären Designers William Morris aufgehängt? Und dann noch hinter Glas, während die Ausgaben der italienischen Zeitung Lotta Continua aus den 1970er Jahren im letzten Raum ganz einfach so an der Wand kleben. Eine restauratorische Frage ist das nicht, sondern eine nach dem Status der gezeigten Objekte. Und die lässt die Ausstellung ebenfalls weithin offen.
Dass den Videos, die im letzten Raum unter dem – angesichts der Vielfalt unterschiedlicher Themen abermals kaum nachvollziehbaren – Titel „Disobedience“ versammelt sind, jeweils Dokumente der sie umgebenden Kämpfe in Vitrinen beigeordnet sind, ist immerhin ein schöne Idee. Und selbstverständlich müssen in einer Ausstellung nicht alle Fragen der oben aufgebrachten Art beantwortet werden. Es hätte allerdings nicht geschadet, einige von ihnen zumindest zu stellen.
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in: springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Wien, Band XVI, Heft 2, Frühjahr 2010, S. 73.
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in: Jungle World, Nr. 14/2010, Berlin, 8.April 2010, dschungel S. 10-11.
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