Gerald Raunig
in: Kulturrisse, Nr. 2/2007, Wien, Juni 2007, S. 79.
Jens Kastner: Transnationale Guerilla. Aktivismus, Kunst und die kommende Gemeinschaft, Münster: Unrast 2007
Jens Kastners soeben erschienener Essay „Transnationale Guerilla“ befasst sich – wie der Untertitel nahe legt – mit der Überschneidung von drei Aspekten: dem politischen Aktivismus und den sozialen Bewegungen der letzten 40 Jahre, den kritischen Kunstpraxen aus ungefähr demselben Zeitraum sowie einem spezifischen Problem der politischen Theorie, nämlich jenem der Gemeinschaft. Der Autor hat als Soziologe, Kunsthistoriker und Aktivist Kompetenzen in allen drei Bereichen, und gerade die Verbindung dieser Kompetenzen ist es, die die Qualität des Essays ausmacht.
Im Bereich des Aktivismus fokussiert Kastner vor allem 1968 sowie die lateinamerikanischen Bewegungen bis zu den zapatistischen Aufständen in Chiapas. Sein Ausgangspunkt in Bezug auf Kunstpraxen sind künstlerischer Internationalismus und konzeptuelle Praxen seit den 1970er Jahren, hier vor allem Positionen von Allan Sekula, Martha Rosler, Adrian Piper, das Guerilla Art Collective Project oder die Guerrilla Girls, aber auch unzählige aktuelle Arbeiten, die in dieser Tradition entstanden sind. Was schließlich die Problematisierung verschiedener Formen von Gemeinschaft betrifft, überprüft Kastner diese an drei Theoretikern, die in den letzten Jahrzehnten zu diesem Thema linke, anti-kommunitaristische Perspektiven beigetragen haben. Die drei Hauptkapitel sind kurzen Abrissen der äußerst unterschiedlichen Positionen von John Holloway, Zygmunt Bauman und Giorgio Agamben gewidmet. Jens Kastners Haltung ist in allen drei Fällen eine kritische: sie problematisiert das zu einfach auf der Negation der Unterdrückung beruhende „Wir“ John Holloways ebenso wie die Widersprüchlichkeit des Soziologen Zygmunt Bauman zwischen der „oberflächlichen“ Gemeinschaft von „Neotribes“ (die Bauman „bezüglich ihrer Innenwirkung mit Sekten und hinsichtlich ihrer Außenwirkung mit Nazis“ gleichgesetzt, so Kastner) und einer eher emphatisch beschriebenen „planetarischen Gemeinschaft“ späterer Texte Baumans, aber auch das ähnlich vage bleibenden, anti-staatliche Konzept einer „kommenden Gemeinschaft“ des italienischen Philosophen Giorgio Agamben.
Neben der zunehmend transversalen Überlappung der drei Bereiche lässt sich aus der Komposition des Buchs auch eine Linie vom künstlerischen und politischen Internationalismus der 1970er Jahre zur historisch nicht festgelegten „transnationalen Guerilla“ ziehen. Auf dieser Linie war die Skepsis gegenüber kommunitaristischen Ideologien immer schon ausgeprägt, und auf der Basis seiner kritischen Besprechung der verschiedenen Gemeinschaftstheorien will Kastner mit dem Begriff „Guerilla“ wohl gerade auch eine Subvertierung des Kommunitarismus begrifflich mit transportieren. Es geht ihm um die „differenten Ausgangspunkte, um das entblößende Verdecken, um den temporären Bezug auf strukturelle Ungleichheiten mit dem Ziel ihrer Überwindung“. Wie im Begriff der Guerilla allerdings über die konkreten historischen Konzepte der Fokustheorie, der Stadtguerilla, der Kommunikationsguerilla, des Hacktivism etc. hinaus ein Potenzial der Universalisierung sich aktualisieren könnte, lässt Kastner offen. Eine weitere und eingehende Konzeptualisierung wie Konkretisierung der „transnationalen Guerilla“ als „kämpferischer, temporärer, nicht auf nationale Grenzen beschränkter Zusammenhang“, der aus konzeptuellen künstlerischen Praxen ebenso lernt wie von den zapatistischen Aufständen, steht damit noch aus.
Gerald Raunig