in: graswurzelrevolution, Münster, Nr. 312, Oktober 2006, S. 17.

Frühlingsoffensive
Der Film „Operation Spring“ dokumentiert die gleichnamige Polizeiaktion gegen Afrikaner in Österreich

Der Vorwurf an die vermeintlichen Dealer, „unbekannte Mengen an unbekannten Orten zu unbekannter Zeit an unbekannte Personen“ verkauft zu haben, löst im Kino Gelächter aus. Eine kollektive Geste, die für einen Moment die vollkommene Passivität des Zuschauens unterbricht. Das ist manchmal nötig, um sich dem Unfassbaren weiter aussetzen zu können. Denn was hier wie ein schlechter Witz erscheint, ist in Österreich Grundlage für Haftstrafen von insgesamt mehreren Hundert Jahren. Am 27. Mai 1999 finden in Wien, Linz, Graz und Niederösterreich Razzien statt. Objekte des mit 850 beteiligten PolizistInnen größten Polizeieinsatzes der österreichischen Nachkriegsgeschichte sind vornehmlich Wohnungen und Flüchtlingsheime, in denen Schwarze wohnen, AfrikanerInnen, die zum größten Teil aus Nigeria stammen und als AsylbewerberInnen in Österreich leben. Bei der unter dem Titel „Operation Spring“ geführten Aktion kommt erstmals der kurz zuvor verabschiedete Große Lauschangriff zum Einsatz, an die 100 Schwarze werden verhaftet. Von Regierung und Presse wird ein großer Schlag gegen einen international agierenden, nigerianischen Drogenring gefeiert.
Angelika Schuster und Tristan Sindelgruber haben die Ereignisse um die Frühlingsaktion, die das Zeug zum handfesten Justizskandal hat und ein beredtes Beispiel für gegenwärtigen Rassismus ist, nachgezeichnet. Sie selbst vermeiden solch ausdrückliche Anschuldigungen und lassen Inhaftierte, Verteidiger, Zeugen und auch einen Richter zu Wort kommen. Gerade die sehr unaufgeregten Bilder versetzen die Zuschauer in sich steigernde Fassungslosigkeit.
Knapp vier Wochen vor der Operation Spring war der nigerianische Asylbewerber Marcus Omofuma am 1. Mai 1999 bei der Abschiebung getötet worden. Dem sich Wehrenden hatte man den Mund verklebt, er erstickte im Flugzeug. Ein zaghafter Aufschrei ging durch die Öffentlichkeit, die schwarze Community organisierte Demonstrationen gegen die Polizei. Dass die Großrazzia die Antwort von Polizei und Justiz auf die politische Organisierung der Schwarzen war, legt der Film nahe. Ein Polizeisprecher erläutert vor den gefilmten Demos, dass die Chefs des Drogenrings hier die Öffentlichkeit gesucht und gegen die Polizei mobil gemacht hätten. Dass die Angeklagten in den Drogenprozessen exakt den von der Polizei als politische Rädelsführer Ausgemachten entsprachen, bestätigt auch einer der Verteidiger. Dass der damalige Innenminister Karl Schlögel (SPÖ) auf einer zu Beginn des Films eingespielten Pressekonferenz einen Zusammenhang zwischen dem Fall Omofuma und der „Operation Spring“ leugnet, verwundert wenig. Ob aus Rache oder wegen des Erfolgsdrucks bezüglich des Lauschangriffes, es wurde ganze Arbeit geleistet. Fast alle Prozesse endeten mit Verurteilungen, oft zu jahrelangen Haftstrafen. Dabei wurden die offenbar vereinzelt als Straßendealer tätigen Asylbewerber zu Drogenkartellbossen hochstilisiert, zum Beispiel indem man die geringen Drogenfunde auf die Zeit hochrechnete, die der jeweilige Besitzer in Österreich lebte. Angeklagte wurden nach eigenen Aussagen unter Druck gesetzt, gegen andere auszusagen. Die tatsächlich vernommenen Zeugen der Anklage wussten oft über 40 oder 50 Angeklagte etwas zu berichten, obwohl sie erst zwei oder drei Wochen in Österreich lebten. Sie hätte das nie für möglich gehalten, sagt die Flüchtlingsbetreuerin Ute Bock an dieser Stelle im Film, dass wenn schon Leute für Gerichtsverhandlungen vorbereitet werden, dass das dann so stümperhaft geschieht. Als ebenso mangelhaft erweisen sich die eingespielten Beweisvideos. Qualitativ schlechter als so manches Amateurvideo, urteilt einer der Verteidiger. In schwarzweiß sind schemenhaft Menschen an einem Restauranttisch zu erkennen, Ton und Bild laufen nicht synchron, fünf bis zehn Personen reden durcheinander. Die Verurteilungen beruhen auf nicht überprüften Übersetzungen der Videos, der Dolmetscher lässt eigenmächtig für unwichtig gehaltene Passagen aus und kann im Gerichtssaal seine eigenen Übertragungen nicht bestätigen. Zudem erweist er sich als Repräsentant der nigerianischen Regierung – jener also, vor der die meisten Angeklagten geflohen sind.
Dass die Videos bei der Verhandlung nur dem Gericht und nicht dem Publikum gezeigt werden, veranlasst nach wiederholter Beschwerde einen der Verteidiger, aus Protest den Raum zu verlassen. Es ist eine der eindringlichsten Szenen des Films, als der Angeklagte seinen Anwalt auf dem Gang bittet, wieder rein zu kommen. Als Zuschauer lässt sich nur ahnen, was hier auf dem Spiel steht. Dass auf unglaublich fahrlässige Weise mit dem Leben von Menschen umgegangen wird, begreift man allerdings schnell. Die Empörung findet mit den Bildern von der Wiener Justizstrafanstalt Josefstadt oder dem leeren Gerichtssaal, die immer wieder in die Abläufe des letzten noch offenen Prozesses gegen Emmanuel Chukwujekwu eingeblendet werden, ihre sicheren Orte.
Zum Schauspiel des „allseits tolerierten Schmalspurrassismus“, wie der Generalsekretär von Amnesty International Österreich, Heinz Patzelt, die Bedingungen nennt, unter denen die „Operation Spring“ stattfand, gehört auch die mediale Berichterstattung. Während die Boulevardpresse die vermummt auftretenden Belastungszeugen damals als „Helmi“ und „Strumpfi“ verhöhnte, reicht das Klischee von der zersetzenden Gefahr schwarzer Drogendealer bis ins linksalternative Milieu. Noch Anfang 2005 wurde in der Wiener Stadtzeitung „Falter“ geraten, wer die Wut gegen so genannte „Asylbetrüger“ verstehen wolle, müsse in den Votivpark gehen – wo „dreißig Afrikaner“ vor den quietschenden Reifen der Polizei in die „dunkle Nacht“ entwischten, nicht ohne vorher „Dutzende Säckchen, gefüllt mit Drogen“ im Gebüsch verschwinden zu lassen. Die ablehnende bis rassistische Haltung von Medien und Bevölkerung steht dabei – wie beispielsweise auch im Osten Deutschlands – in geradezu umgekehrtem Verhältnis zur tatsächlichen Anwesenheit von „Fremden“. Zwar liegt die Anerkennungsquote bei Asylverfahren in Österreich mit 50 Prozent 2004 im Vergleich zu Deutschland (0,9 Prozent) trotz abnehmender Tendenz hoch. Von den AntragstellerInnen aus dem subsaharischen Afrika wurden 2004 nach Angaben der Nichtregierungsorganisation „Asylkoordination Österreich“ gerade 18 Prozent (167 Personen) anerkannt. Für den wahnwitzigen Umgang mit AsylbewerberInnen ist die „Operation Spring“ ein hervorragendes Beispiel, das der Film von Schuster und Sindelgruber in seiner ganzen brutalen Tragik ruhig und sachlich einfängt. „Unser Prinzip war“, sagt Sindelgruber in einem Interview, „uns das in Ruhe anzuschauen und durch den Film zur Diskussion zu stellen.“ Das ist gelungen. Zu einem wirkmächtigem Diskussionsbeitrag für die immer noch Inhaftierten konnte sich allerdings Justizministerin Karin Gastinger, bis kurz vor der Wahl Jörg Haiders Partei „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) zugehörig, erwartungsgemäß nicht durchringen. Ende Dezember 2005, nur wenige Wochen nach der Uraufführung des Films in Österreich, wurde Emmanuel Chukwujekwu zu vier Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Sein Verteidiger Lennart Binder kündigte erneut an, das Urteil „zu bekämpfen“. Neue Hoffnung schöpfen auch Sindelgruber und Schuster. Nach den Wahlen in Österreich Anfang Oktober 2006 kündigen sie in einer Presseaussendung an, sich nach erfolgter Regierungsbildung „erneut an die/den JustizministerIn“ zu wenden.

Jens Kastner

Angelika Schuster/Tristan Sindelgruber: Operation Spring, Österreich 2005, 35mm, 95 min.
Schnittpunkt – Sindelgruber Tristan, Film- & Multimediaproduktion. Große Sperlgasse 19/3. A-1020 Wien. Tel.+FAX: ++43-1-913 11 21. e-mail: schnittpunkt@gmx.at. web: www.schnittpunkt-film.com, www.operation-spring.com, Ab 16.10.2006 auch auf DVD, 24,90€