in: graswurzelrevolution, Münster, Nr. 496, Februar 2025, S. 2
Bekommt Österreich jetzt den „Volkskanzler“?
Hinter dem Faschismus stehen das Kapital und die imperiale Lebensweise
Nun also doch. Österreichs Bundespräsident Alexander van der Bellen hat den FPÖ-Politiker Herbert Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt. Die dritte Version einer Koalition aus Freiheitlichen (FPÖ) und Volkspartei (ÖVP) steht an, diesmal allerdings mit dem großen Unterschied, dass die Rechtsextremen sie aller Voraussicht nach als Kanzlerpartei anführen werden. („It′s not the right time to be sober/ Now the idiots have taken over”)*
Anfang Januar ging alles Schlag auf Schlag: Um die Regierungsbeteiligung der FPÖ zu verhindern, die aus den Nationalratswahlen im September 2024 als Partei mit den meisten Wähler*innenstimmen hervorgegangen war, hatten ÖVP, SPÖ und die neoliberalen NEOs Koalitionsverhandlungen geführt. Diese wurden von NEOs-Chefin Beate Meinl-Reisinger zu Jahresbeginn überraschend aufgekündigt, am Tag darauf trat Karl Nehammer (ÖVP) als Kanzler und Parteivorsitzender zurück, womit die Bahn frei wurde für eine Regierung unter FPÖ-Führung – da Nehammer eine Zusammenarbeit mit Kickl kategorisch ausgeschlossen hatte. Der neue ÖVP-Chef Christian Stocker hatte im November zwar noch zu Kickl im Parlament gesagt, „es will Sie niemand in diesem Haus. Auch in dieser Republik braucht Sie keiner“, hat seine Meinung aber nun offenbar geändert. Am 9. Januar versammelten sich rund 50.000 Menschen vor dem Bundeskanzleramt am Ballhausplatz in Wien, um gegen die Rechte zu demonstrieren. (Dies ist der Stand der Dinge zu Redaktionsschluss).
Kickl ist der Mann, der den Wahlkampf mit dem Ziel führte, „Volkskanzler“ zu werden, eine Bezeichnung, die bis dahin vor allem für Adolf Hitler im Umlauf war. Er ließ den Slogan „Festung Österreich“ plakatieren und sammelt bis heute in der gleichnamigen Petition Unterschriften dafür, „der illegalen Masseneinwanderung endgültig einen Riegel vorzuschieben und straffällige Asylwerber unverzüglich abzuschieben.“ Er findet das Programm der neofaschistischen Identitären Bewegung „in Ordnung“ und sieht keine Notwendigkeit, sich davon abzugrenzen. Während die FPÖ für ein Verbot gendersensibler Schreibweisen eintritt („Gender -Wahnsinn“), klopft Kickl den Frauen in einer Youtube-Botschaft (04.10.2023) altväterlich auf die von heteronormativer Care-Arbeit geschundenen Schultern: „Ihr managt den Haushalt, ihr besorgt die Einkäufe, ihr organisiert die täglichen Mahlzeiten, ihr übernehmt die Kinderbetreuung und Kindererziehung. Ihr, liebe Frauen, seid es, die den Männern daheim den Rücken freihalten.“ Was wie eine Beschreibung aus den 1950ern klingt, entspricht wohl ziemlich genau dem geschlechterpolitischen Wunschbild der extrem antifeministischen FPÖ und ihrer Klientel.
Kickl war von 2017 bis 2019 Innenminister unter Kanzler Sebastian Kurz, baute den Polizeiapparat aus und ließ sogar das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) durchsuchen, was in Parlament und Öffentlichkeit einige Empörung auslöste. Im Kontext der Ibiza-Affäre wurde Kickl als Verantwortlicher für die Finanzen seiner Partei aber seines Ministeramtes enthoben. (Auf Ibiza hatte der damalige FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache 2017 einer vermeintlichen Oligarchin über illegale Parteispenden und den Zugang Medien geplaudert, den er ihr im Falle einer Regierungsbeteiligung einräumen wollte.) Selbstverständlich lehnte Kickl auch Impfungen gegen COVID-19 ab und empfahl stattdessen ein (ebenso selbstverständlich wirkungsloses) Entwurmungsmittel. Geschadet hat ihm all das nicht, im Gegenteil.
Bei Neuwahlen hätte die FPÖ wahrscheinlich sogar noch zugelegt, also haben NEOs und ÖVP auf Druck der Wirtschaftsverbände gleich den Weg freigemacht für eine ultrarechte Regierung. Wie die ÖVP will auch die FPÖ die Steuern auf Unternehmensgewinne senken. Klimapolitisch sind sie sich auch weitgehend einig in der Leugnung der Klimakatastrophe: Während Kickl vor „Klimahysterie“ warnt, setzte sich Stocker als ÖVP-Generalsekretär für den „Verbotswahn im Klimaschutz“ ein. Das Rentenantrittsalter, das die SPÖ nicht erhöhen wollte, und die geplante Erhöhung der Löhne für Beamt*innen waren für die NEOs der Grund dafür, die Koalitionsverhandlungen platzen zu lassen. „Man muss sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, dass für die NEOS die Krankenpflegerin und der Polizist das Problem sind“, schreibt die Journalistin Natascha Strobl auf moment.at. „Weil sie einen Inflationsausgleich bekommen haben und nicht bis 67 arbeiten sollen, verweigern die Liberalen die Regierung und machen den Weg für Rechtsextreme frei“. Es scheint fast so, als wollten Liberale und Konservative beweisen: Der linke Demospruch, dass hinter dem Faschismus das Kapital steckt, ist zwar plump, aber wahr.
Allerdings ist das nicht die ganze Wahrheit. („Now angry mob mentality's no longer the exception, it′s the rule”) Die Kapitalinteressen werden flankiert von einer imperialen Lebensweise, die sich das Autofahren und den Konsum nicht einschränken und das Gendern und den Veggie-Day nicht vorschreiben lassen will – koste es (ökonomisch und ökologisch), was es wolle. (“There′s no point for democracy when ignorance is celebrated”) Erst diese Lebensstilfrage macht den Faschismus nicht nur hinnehmbar, sondern attraktiv für viele. Ohne sie ist sein Aufstieg nicht zu erklären.
Die nun wieder ins Leben gerufenen, regelmäßigen Demonstrationen gegen FPÖVP müssten all das zugleich kritisieren: die im Alltag verankerten, antiökologischen, sexistischen und rassistischen Ressentiments. Denn schließlich trifft auch heute noch zu, was der italienische Anarchist Luigi Fabbri in der allerersten Faschismusanalyse aus anarchistischer Sicht, „Die präventive Konterrevolution“, schon 1921 schrieb: Die wirklichen Faschist*innen seien zwar relativ wenige, aber „die schlecht vertuschte Komplizenschaft aller verschiedenen Kräfte des sozialen Konservatismus machen sie stark“.
Jens Kastner
* Die Zitate in Klammern stammen aus dem Song „The idiots are taking over“ der Punk-Band NOFX (von der LP „The War on Errorism“, 2004), der sich auf der auf die US-Regierung von George W. Bush bezog.
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(zusammen mit Sabeth Buchmann)
in: e-flux Journal #22, New York, 01/2011.
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