in: Semesterspiegel. Zeitung der Studierenden der Universität Münster, Nr. 354, Münster, Juni 2005, S. 28-29.

Selbst-Gleichschaltung „wider den undeutschen Geist“
Hochschule und Nationalsozialismus in Deutschland


Im Protokoll der Potsdamer Konferenz vom August 1945 wird direkt im Anschluss an die Ausführungen zur NSDAP und der rassistischen Gesetzgebung die Notwendigkeit betont, das Erziehungswesen in Deutschland zu überwachen. Mit der Behandlung an so exponierter Stelle maßen die Alliierten dem Themenkomplex Bildung eine zentrale Rolle bei der Zerschlagung des Nationalsozialismus in Deutschland und dessen zukünftiger Verhinderung bei – als Lehre aus dessen Aufkommen und Verbreitung. Und das aus gutem Grund. Das Misstrauen der Alliierten galt nicht nur den in der Hitlerjugend organisierten Heranwachsenden. Unter besonderer Beobachtung standen nach 1945 auch die Universitäten. Verführung und Manipulation konnten hier unter keinen Umständen erklärend (oder gar entschuldigend) angeführt werden. Denn allzu offensichtlich war an den deutschen Hochschulen die institutionelle „Selbst-Gleichschaltung“ (Bruno W. Reimann) und die „Selbstindienstnahme“ (Peter Lundgreen) der Wissenschaften betrieben worden. Zum Verständnis dieser Prozesse reicht allerdings die isolierte Betrachtung der zwölf Jahre von 1933 bis 1945 reicht nicht aus.

Die Studierenden
Während der Weimarer Republik war die wirtschaftliche Not der Studierenden selbst während der Phase relativer Prosperität 1924 bis 1928 im Vergleich zur Gesamtbevölkerung sehr groß (40% der Studierenden waren unterernährt). Wohnungen für Studierende waren rar und vor allem teuer und der nebenbei berufstätige „Werkstudent“ war eine selbstverständliche Erscheinung seiner Zeit. Dennoch waren Studierende schon damals hauptsächlich Bürgerskinder, nur 3,7% von ihnen entstammten 1928 proletarischen Milieus. Soziale Not allerdings macht niemanden zum Faschisten. Sie stellt höchstens die Rahmenbedingung dar, unter der sich politische Organisierung vollzieht. Etwa zwei Drittel aller männlichen Studierenden waren Korporierte. Weit über die Hälfte aller deutschen Studierenden – nach anderen Schätzungen bis zu zwei Drittel – waren zum Zeitpunkt der Machtübernahme Hitlers ihrer Gesinnung nach Nationalsozialisten. Besonders verwunderlich war die spätere Selbstgleichschaltung von Seiten der Studierenden also nicht.
Die Korporationen boten mit ihrem glühenden Nationalismus sowie der hierarchischen Organisationsstruktur auch in den 1920er Jahren noch vielen Studenten eine wichtige politische und repräsentative Heimat. Ihre politisch restaurative Haltung, ihr gesellschaftlicher Einflussverlust und nicht zuletzt die zunehmende Anzahl von Frauen an den Universitäten machten sie allerdings zu einem – nicht minder mächtigen – Auslaufmodell. Der nationalsozialistische Anspruch auf kulturelle und gesellschaftliche Erneuerung führte auch zu neuen Organisationsformen. Der 1926 gegründete und 1928 vom späteren „Reichjugendführer“ Baldur von Schirach geführte Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund (NSDStB) hatte innerhalb von drei Jahren an allen deutschen Universitäten eigene Hochschulgruppen, gewann immer mehr AStA-Wahlen und stellte ab 1931 die Mehrheit im Dachverband der selbstverwalteten Studierendenverbände, der Deutschen Studentenschaft. Schon 1933 wurden die Studierenden zu den eifrigsten VertreterInnen des neuen Regimes. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7.April 1933, das alle pazifistischen, kommunistischen und vor allem jüdischen Professoren (Professorinnen gab es m. W. damals nicht) ihrer Ämter entheben sollte, starteten Studierende eine ungeheure Denunziationskampagne. Neben der Wende von der Vermittlung von Fachwissen hin zu ideologischer Schulung führte v. a. der Ausschluss jüdischer und linker WissenschaftlerInnen dazu, dass das Niveau der deutschen Hochschulen nach 1933 beständig sank. Auch gegen die KommilitonInnen, gegen die sich die NS-Hochschulgesetzgebung erst relativ spät richtete – mit einer Verordnung im April 1937, die jüdischen Studierenden die Erlangung des DoktorInnengrades verbot –, gingen die Studierenden vor.
Einen zweiten, entscheidenden Schritt zur Verankerung des Faschismus an den Hochschulen stellt die öffentliche Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 dar. Hier entledigte sich die NS-Kulturpolitik zunächst symbolisch all ihrer FeindInnen und die Studierendenschaft trat als loyale Akteurin vor der Weltöffentlichkeit in Aktion. Die „Aktion wider den undeutschen Geist“, die ab Mitte April 1933 an allen Hochschulorten, meist unter Zustimmung der lokalen bürgerlichen Presse und des Buchhandels angelaufen war, lag in der Verantwortung der Studierenden: Sie wurde organisiert, zentral geplant und geleitet von der Deutschen Studentenschaft. Als am 28.Oktober 1933 das Gesetz zur Vereinfachung der Hochschulverwaltung erlassen wurde, das das Führerprinzip an den Universitäten einführte und die universitäre Selbstverwaltung – einschließlich der studentischen – abschaffte, konnte das nur auf das Wohlwollen der meisten Studierenden treffen. Ihre Zahl verminderte sich angesichts der insgesamt antiintellektuellen Politik der Nazis innerhalb der ersten sechs Jahre der Nazi-Herrschaft um ein Drittel von etwa 99800 1933 auf etwa 58300 1939.

Die Lehrenden
Anders als bei den Studierenden waren es 1932 nur 9% der Lehrenden, die sich zur NSDAP bekannten. Auch wenn 1933 bereits 20,6% der Dozenten Mitglieder der Partei waren, erklärt sich die Gleichschaltung der Hochschule von Seiten der Lehrenden jedenfalls nicht „von selbst“. Die deutschen Professoren wurden nach 1918 wie fast alle BeamtInnen, von den republikanischen Teilstaaten des Deutschen Reiches übernommen. Sie hielten sich in ihrer großen Mehrheit für unpolitisch und an wissenschaftliche Objektivität gebunden. Die wenigsten von den 33% der Lehrenden, die bis 1938 „aus dem Lehrkörper entfernt“ wurden, waren politische Dissidenten (sondern sie wurden als Juden ausgeschlossen). Die Betonung der „objektiven Forschung“ ohne politische Implikationen schloss den Blick auf die gesellschaftlichen Bedingungen, innerhalb derer geforscht und gelehrt wurde, geradezu aus. „Politik“ und „Demokratie“ galten als Synonyme, die abgelehnt wurden, weil sie der Wissenschaftlichkeit zum einen und dem Deutschtum zum anderen grundlegend zu widersprechen schienen. Außerordentliches Beispiel für die Geisteshaltung sind die damals viel zitierten „Betrachtungen eines Unpolitischen“ des Schriftstellers Thomas Mann. Darin heißt es u.a.: „Der politische Geist, widerdeutsch als Geist, ist mit logischer Notwendigkeit deutschfeindlich als Politik. (...) Ich bekenne mich tief überzeugt, daß das deutsche Volk die politische Demokratie niemals wird lieben können, aus dem einfachen Grunde, weil es die Politik selbst nicht lieben kann, und daß der vielverschrieene `Obrigkeitsstaat´ die dem deutschen Volke angemessene, zukömmliche und von ihm im Grunde gewollte Staatsform ist und bleibt ... sein Wille zur Macht und Erdengröße (…) bleibt dadurch in seiner Rechtmäßigkeit und seinen Aussichten völlig unangefochten.“
Die anfänglichen Zweifel, ausgelöst durch das als pöbelhaft gewertete Auftreten von Teilen der nationalsozialsitischen Bewegung, insbesondere der SA, konnten durch die politisch-inhaltlichen Übereinstimmungen ausgeräumt werden. Die Sehnsucht nach dem starken Staat, das Hochhalten des Militärischen von der platten Romantisierung kriegerischer Abenteuer bis zu sozialdarwinistischen Lebenskonzepten, der Fetischismus der Stärke und die komplementär dazu existierende Opfer-Ethik, die in der Abscheu gegen die VertreterInnen der Republik als den sogenannten „Novemberverbrechern“ gepflegt wurde, waren im wesentlichen die an deutschen Universitäten dominierenden (Denk-)Traditionen. Vor diesem Hintergrund formulierte auch der weltbekannte Philosoph Martin Heidegger im Herbst 1933 in einer Freiburger Studierendenzeitschrift, „(n)icht Lehrsätze und Ideen seien die Regeln eures Seins. Der Führer selbst ist die heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr Gesetz.“ Dass es sich bei solchen Aussagen nicht bloß um die Entgleisungen faschistischer Schwachköpfe intellektuellen Anstrichs handelte, sondern um exemplarische Meinungen des deutschen Bildungsbürgertums, vermögen u. a. die offiziellen Verlautbarungen deutscher Professoren und ihre Reaktionen auf institutionelle Regelungen zu belegen. Sie machen auch Ausmaß und Geschwindigkeit der Etablierung des Nationalsozialismus an den Hochschulen deutlich: Vor den Wahlen am 5.März 1933 veröffentlichen 300 Professoren einen Wahlaufruf zur Unterstützung des Nationalsozialismus und Adolf Hitlers, knapp einen Monat später (3. April 1933) reagiert der Hochschulverband auf die Zeitungsberichte zur Entfernung jüdischer Richter und Anwälte von preußischen Gerichten und wendet sich „voll Entrüstung und schärfstem Protest gegen die jeder Grundlage entbehrende Greuelpropaganda im Ausland“. Am 12. April 1933 setzt die Deutsche Rektorenkonferenz einen Ausschuss zur Vorbereitung der „festeren Eingliederung (der Hochschulen) in die Volksgemeinschaft“ ein. Und ebenfalls ohne äußeren politischen Druck verabschiedet der Verband der Deutschen Hochschulen am 21.April 1933 eine Erklärung, in der die Lehrenden die „Wiedergeburt des Deutschen Volkes und (…) (den) Aufstieg des neuen Deutschen Reiches“ begrüßen und für die Hochschulen als „Erfüllung ihrer Sehnsucht und Bestätigung ihrer stets glühend empfundenen Hoffnungen“ bewerten. Und das zwei Wochen nach dem Erlass des bereits erwähnten Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, nach dem insgesamt 2000 bis 3000 WissenschaftlerInnen ihre Stellen verloren oder „freiwillig“ emigrierten. Im Juni 1933 bekennt sich der neue Vorstand des Hochschulverbandes in einer mit „Heil Hitler!“ unterzeichneten Ergebenheitserklärung „rückhaltlos zu der nationalsozialistischen Weltanschauung“; im November 1933 findet eine „Kundgebung der deutschen Wissenschaft“ in Leipzig statt, bei der etwa 1000 WissenschaftlerInnen, darunter berühmte Gelehrte wie Ferdinand Sauerbruch und Martin Heidegger, einen „Ruf an die Gebildeten der Welt“ unterstützen. Darin wird um Verständnis für Hitler und den Nationalsozialismus geworben. Ebenfalls im November unterstützen 700 von etwa 2000 Professoren ein „Bekenntnis ... zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat.“

Weder die Studierenden, noch für die Lehrende an deutschen Universitäten (in ihrer Mehrheit) hatte 1933 auf politischer und kultureller Ebene ein historischer Bruch stattgefunden. (Vielmehr hatte es die entscheidende Zäsur aus deutschnationaler Sicht bereits 1918/19 gegeben). Diese Kontinuitäten nach 1945 endgültig zu brechen, gelang selbst den Bemühungen der Alliierten nicht ganz. Auch vor diesem Hintergrund ist die Parole der revoltierenden Studierenden der 1960er Jahre zu verstehen: „Unter den Talaren, der Muff von tausend Jahren“.


Jens Petz Kastner