in: Testcard. Beiträge zur Popgeschichte, Nr. 16, Mainz, März 2007, S. 267-277.

Der Künstler als Geschäftsmann
Wie die Pop Art das Kunstfeld revolutionierte. Eine neue Studie betreibt empirische Forschung und Kunsttheorie zugleich.*


Wir leben in einer total ästhetisierten Welt, in der folglich die Kunst in puncto Schönheit und Form keinen Sonderstatus mehr einnimmt. Und weil außerdem mit Kunst viel Geld gemacht wird, sei das Kunstwerk heute „eine Ware wie jede andere“. Das meint jedenfalls der Kunsttheoretiker Boris Groys. In Wirklichkeit ist aber alles viel komplizierter. Denn Kunstwerke mögen zwar Waren sein. Kunst sind sie aber nicht deswegen, sondern trotzdem. Dass verkaufsorientierte Produkte als legitime Kunst akzeptiert werden, war nicht immer selbstverständlich. Dazu bedurfte es eines langen Prozesses der Durchsetzung bestimmter Kriterien und vielfacher institutioneller Verschiebungen im Feld derer, die darüber entscheiden, was Kunst ist und was nicht.

Eine solche Veränderung zeichnet Nina Tessa Zahner in ihrem aktuellen Buch über den Umbau des Kunstsystems in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach. Mit dem Aufkommen der Pop Art und der Durchsetzung Andy Warhols als etabliertem Künstler, so ihre These, habe sich das Kunstfeld Anfang der 1960er Jahre grundsätzlich transformiert. Diesen Wandlungsprozess zeigt sie einerseits in detaillierten Schilderungen der Karriere Warhols und ihren sozialen Bedingungen auf. Und andererseits stützt sie sich dabei auf die Kunstfeldtheorie Pierre Bourdieus. Diese besagt u. a., dass das, was als gesellschaftlicher Bereich der Kunst verstanden wird, sich seit dem späten 19. Jahrhundert durch Kämpfe verschiedener Institutionen konstituiert: Kunsthandel, Kunstkritik und Ausstellungswesen ringen nicht nur darum, was legitimer Weise unter Kunst zu verstehen ist, sondern formieren durch diese Kämpfe zugleich das autonome Feld der Kunst. Dieses Feld ist nach Bourdieu noch einmal unterteilt in zwei sich widersprechende Tendenzen: Die reine und die kommerzielle Kunst. Auf der Seite der reinen Kunst – dem individuellen Ausdruck verpflichtet und an ökonomischem Erfolg (vorgeblich) nicht interessiert – stand nach dem Zweiten Weltkrieg der Abstrakte Expressionismus.

Die Pop Art habe diesen aber nicht nur als führende Kunstrichtung abgelöst, wie es die jeweiligen Avantgarden der ersten Hälfte des Jahrhunderts in der Rückschau zu tun gepflegt hatten. Ermöglicht durch den wirtschaftlichen Aufschwung und den dadurch gewonnenen Zugang der Mittelschichten zum Kunstgeschehen, verschob sich laut Zahner im Feld der Kunst Grundlegendes: Die beiden von Bourdieu beschriebenen, dominanten Subfelder, das der reinen Produktion und das der Massenproduktion, wurden demnach im Laufe der 1960er durch ein drittes, das der erweiterten Produktion, ergänzt. Dieses neue Subfeld nimmt Mechanismen aus den beiden sich antagonistisch gegenüber stehenden auf. Es hat zum einen wesentliche Aspekte des Feldes der reinen Produktion übernommen (Innovationsorientierung der künstlerischen Produktion, die Einzigartigkeit des Werkes und die Originalität der Künstler) und zum anderen Elemente des Subfeldes der Massenproduktion integriert (Rezeption der Werke unabhängig von einer Verfügung über ästhetisches Kapital). Dadurch wurde „schneller Erfolg in der Kunstwelt möglich (…) und die offene Orientierung an der Akkumulation ökonomischen Kapitals“ zu einem legitimen Kunst-Kriterium.

So entstand auch ein neuer Künstlertyp: Aus dem eigenbrödlerischen Sozialrebellen wurde der „Business Artist“. Wer ihn als erster verkörperte – und sich selbst auch so bezeichnete –, war eben Andy Warhol. Das Modell des leidenden Genies á la Jackson Pollock war passé. Statt den bis dahin üblichen Weg über die Ausstellung in Galerien und die Weihe durch die Kunstkritik zu gehen, fand der künstlerische Durchbruch fortan über die Massenmedien einerseits und über Sammler und Galeristen andererseits statt. Auch unter diesen setzten sich langsam, nicht zuletzt Dank neuer Absatzmärkte bei den zu Geld gekommenen Mittelschichten, diejenigen durch, die sich weniger an der reinen Form als am guten Geld orientierten. An Einfluss verlor auch die Kunstkritik. Denn statt exklusivem kunsthistorischem Wissen, bedurfte es zur Entschlüsselung von Bildern, die Tomatensuppendosen oder Popstarporträts zeigten, anscheinend nur mehr des Alltagsverstandes.

Da sie Kunst grundsätzlich als in Herrschaftsprozesse involviert betrachtet, ist die Theorie Bourdieus im Feld der Kunst nicht gerade beliebt. Mit der Betonung rigider Regeln der Anerkennung stellt sie zudem zentrale Aspekte seines Selbstverständnisses in Frage. Dennoch bzw. gerade deshalb gehört sie wohl zu den elaboriertesten Entwürfen zu dessen Erklärung. Indem sie die Herausbildung eines neuen Unterfeldes beschreibt, leistet Nina Tessa Zahner eine wichtige Erweiterung von Bourdieus Ansatz. Diese Ergänzung ist keineswegs allein dazu angetan, den Werdegang Warhols um ein weiteres Mal auszuleuchten. Sie schafft vielmehr wichtige Voraussetzungen für künftige kunstsoziologische Forschungen.

Mit den inhaltlichen Schlüssen, die sie zieht, muss man deshalb jedoch nicht unbedingt übereinstimmen. So stellt das Feld der erweiterten Produktion nach Zahner „neben einer Ökonomisierung der Kunst vor allem auch deren Demokratisierung dar“. Denn es habe die elitären Ansprüche des Feldes der reinen Produktion „als Ideologie enttarnt“. Wo sie an anderer Stelle Bourdieu kritisiert, wird aus dem Nebeneinander von Ökonomisierung und Demokratisierung plötzlich eine Kausalbeziehung: Bourdieu ignoriere „die demokratisierenden Potenziale eines erhöhten Pluralismus in der Kunst, die der Kunstmarkt mit sich bringt.“ Dass der Markt den Pluralismus und sogar die Demokratie fördere, ist allerdings eine Verallgemeinerung, die auch der detailliert geschilderte Aufstieg der Pop Art kaum zulässt. Dieses Verdienst kommt wohl eher Gegenkultur und postmoderner Theorie zu, die Zahner ebenfalls erwähnt. Beide entstanden zwar zeitgleich mit den ökonomischen Veränderungen, jedoch nicht bloß als deren Ausdruck.

Was sich mit der Feldanalyse jedenfalls sehr gut zeigen lässt, ist, das Boris Groys völlig falsch liegt. Denn trotz der Ökonomisierung der Kunst, zeigt auch die Arbeit Zahners, warum nach wie vor gilt, dass die bedeutendsten Kunstwerke nicht unbedingt die teuersten sind, und dass, umgekehrt, die teuersten nicht die wertvollsten sind. Das Kunstwerk, müsste es also heißen, ist eine Ware wie keine andere.

Jens Kastner


Nina Tessa Zahner: Die neuen Regeln der Kunst. Andy Warhol und der Umbau des Kunstbetriebs im 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M./New York 2006 (Campus Verlag), 326 S., 29,90 €.

* Der Abdruck in Testcard erfolgte ohne den Titel des Artikels.



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