in: Graswurzelrevolution, Münster, Nr.282, Oktober 2003, S.15.

Gegen Gewalt und Aktionismus
Adornos Kritik taugt auch an seinem Hundersten Geburtstag noch, selbst für Soziale Bewegungen

An nicht wenigen Käferhecks und Entenkofferräumen klebte in den 80er Jahren dieser Slogan: „Ein Tag, an dem Du nicht lächelst, ist ein verlorener Tag“, dazu ein typisierter Charlie Chaplin in Schwarzweiß. Das hippieeske Motto fand mein Contra in dem trotzigen „Ein Tag, an dem Du nicht lächelst, ist ein ehrlicher Tag“, dazu ein Bild von Buster Keaton, dem anderen, als Kind geschundenen, niemals lächelnden Hollywood-Komiker. Darunter ein Zitat aus der Dialektik der Aufklärung: „Vergnügtsein heißt Einverstandensein“. (1)

Es hat eine ganze Reihe individueller Versuche gegeben, die sozialphilosophischen Vorgaben Adornos umzusetzen. In ihrer Mehrzahl bestanden sie paradoxer Weise wohl darin, auf die Unmöglichkeit von Praxis hinzuweisen und beschränkte sich im wesentlichen auf die immer kleiner werdende Community studentischer Adorniten, die sich in der Nachahmung seines Schreibstils ergingen.
Eins zu eins sei jetzt vorbei, sangen Tocotronic 2002, und das galt wohl schon damals, hatte Adorno sich doch gegen eine irgendwie unmittelbare Umsetzung seiner Gedanken immer verwahrt. Im beschädigten Leben musste zunächst wieder gedacht werden. Am 11.September 2003 wäre der Philosoph, Soziologe, Literatur- und Musikkritiker Theodor W. Adorno hundert Jahre alt geworden. Wäre er nicht 1969 gestorben, schwer an der Enttäuschung tragend, die die Studentenbewegung in ihm ausgelöst hatte. Ihre VertreterInnen hatten ihm einen Mangel an Aktivismus vorgeworfen, eine der meist erzählten Anekdoten aus dem Frankfurter Institut für Sozialforschung ist sicherlich diese: Der Professor ruft die Polizei gegen die Institutsbesetzung durch Studierende. Dabei schien das Dutschke-Wort, Geschichte sei machbar, nur die Konsequenz zu sein aus der Kritik an der Naturalisierung gesellschaftlicher Verhältnisse, die die Frankfurter Schule lehrte. Und der studentische Aktionismus wiederum kam als die Umsetzung des Wortes in die Tat daher.
Adorno selber aber glaubte, „dass der Aktionismus wesentlich auf die Verzweifelung zurückzuführen ist, weil die Menschen fühlen, wie wenig Macht sie tatsächlich haben, die Gesellschaft zu verändern“. (2) Seine Philosophie ist alles andere als ein Aktionsprogramm zur Abschaffung dieser Verzweifelung, vielmehr ist sie ein Aufzeigen von Unmöglichkeiten. Im Angesicht der Totalitarismen des Jahrhunderts, insbesondere der Gräuel des Nationalsozialismus, hatte er in den frühen vierziger Jahren mit Max Horkheimer die Dialektik der Aufklärung verfasst. Breit diskutiert erst in der Studentenbewegung, hatten sie diese nicht voraussehen können. Die Bedingungen, die Auschwitz ermöglicht hatten, bestanden in den Augen der Kritischen Theoretiker fort und daher rührte jene Skepsis gegenüber der spontanen Aktion, in der Adorno tendenziell immer den Terror der SA-Horden vor sich sah. Abscheu gegen Gewalt in Praxis und Struktur der Gesellschaft war eine zentrale Motivation seines Denkens.
Dass die Kulturindustrie nicht nur die Verlängerung der Arbeit unterm Spätkapitalismus bewerkstelligen würde, sondern in einer bestimmten historischen Situation auch gegen Manipulation und verordnete Passivität emanzipatorische Potenziale freisetzen konnte, wie um 1968 mittels Rock- und Popmusik geschehen, diese Möglichkeit sah Adorno nicht. Darauf hat die Popkritik hingewiesen, und als Antwort darauf sind gewissermaßen auch die Cultural Studies zu verstehen. Dabei gehörte es zu den wichtigsten Ausgangspunkten seines Denkens, sich die Geschichte nicht als quasi-natürliche, nicht zu revidierende Faktensammlung entgegenkommen zu lassen, als Sachzwang, wie man heute sagt.
Dass die Menschen in Deutschland Demokratie als System unter anderen erführen, das aus einer abstrakten Wahl für oder gegen Monarchie, Kommunismus, Faschismus, etc. getroffen werde, und nicht als Ausdruck für die Mündigkeit der Bevölkerung, stellte Adorno 1959 in den Mittelpunkt seiner Problematisierung der unaufgearbeiteten Vergangenheit. Letztlich sei neben dieser Kategorienhörigkeit, der Starrheit und Knorrigkeit überhaupt „mangelnde Fähigkeit zu Erfahrung“ die Grundvoraussetzung für den autoritären Charakter. (3) Hier könnte und müsste sich also die Aktualität antiautoritärer Haltung erweisen, die selbstredend nicht nur Adornos impliziten Einfluss auf Soziale Bewegungen, sondern auf den ganzen undogmatischen Marxismus der Nachkriegszeit und selbst auf poststrukturalistische Philosophie widerspiegelt.

Die Sperrigkeit seiner Philosophie gegen die Ableitung konkreter Handlungsansätze sollte politische AktivistInnen aber nicht schrecken. Ganz im Gegenteil halten seine philosophischen und soziologischen Analysen das Zeug bereit, dass als Grundlage jeder auf Befreiung zielenden Aktion dienen könnte. Denn auf Kritik, selbst auf Zweifel, sollte auch die nicht verzichten.
Adornos Skepsis findet immer wieder Gegenstände, an denen sie angebracht und an die sie anzubringen ist: Kaum in den Regierungssesseln, führten „die 68er an der Macht“ – wie die Neue Mitte interpretiert wurde – gleich einen Krieg und rechtfertigten ihn mit Adornos Diktum, dass Auschwitz nicht sich wiederholen dürfe. Die Bomben auf Belgrad mit dem Philosophen zu legitimieren, der sich und seines Gleichen angesichts des Holocaust kurzzeitig sogar das Dichten verbat, konnte nur unter Absehung des von Adorno stets geführten Kampfes gegen Herrschaftsverhältnisse plausibel erscheinen. Dass er angesichts der Militärdiktatur in Griechenland 1969 dem Spiegel zu Protokoll gab, hier „selbstverständlich jede Art von Aktion (zu) billigen“ (4), lässt sich so keinesfalls auf von Regierungen geführte Angriffskriege übertragen. Denn die Identifikation mit dem Bestehenden, Gegebenen, „der Macht als solcher“ war für Adorno der Ursprung totalitären Potenzials. (5)

Von den Artikeln, Büchern und der Ausstellung im Frankfurter Kunstverein abgesehen, die zum Todestag organisiert werden, ist das Denken Adornos so gut wie verschwunden aus Zeitkritiken und Seminarräumen. Zwar haben sich einzelne Formulierungen eingebrannt in das kulturelle Gedächtnis, und Zitate schmücken nach wie vor Texte in Feuilleton und Kunstkritik. Die fundamentale Kritik am Kapitalismus aber, das Denken gegen den Primat der ökonomischen Verwertbarkeit, droht im Zuge des Kulturkrieges gegen „linke Ideologien“, gegen „1968“ und so genanntes „altes Denken“ entsorgt zu werden.
Angesichts einer Hegemonie neoliberaler Ideologie, die genau jene Naturalisierung zum Inhalt hat, gegen die Adornos Denken angetreten und gerichtet war, hat er sicherlich mehr an Anwendung verdient, als – um diesen Text auch mit zeitgenössischen Fortbewegungsmitteln zu schließen – als Namensgeber für den ICE zwischen Frankfurt a.M. und Stuttgart HBf zu fungieren.

Jens Kastner

 


(1) Adorno, Theodor W. und Max Horkheimer: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt a.M. 1990, S.153.

(2) Adorno, Theodor W., Gesammelte Schriften, Bd.20, 1, Frankfurt a.M. 1997, S.405.

(3) Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt a.M. 2003, S.125-146, hier S.130 bzw.133.

(4) Zitiert nach Behrens, Roger: Adorno-ABC, Leipzig 2003, S.99.

(5) Adorno, Theodor W.: Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit, in: ders.: Eingriffe. Neun kritische Modelle, Frankfurt a.M. 2003, S.125-146, hier S.139.