in: Holub, Barbara und Hemma Schmutz (Hg.): Betrifft Scheibbs. Leben in einer österreichischen Stadt, Scheibbs 2006, S. 18-19.

„Konglomerate von Inszenierungen“
Kunst im Öffentlichen Raum in Scheibbs

Von Jens Kastner

Kunst im Öffentlichen Raum hat auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger, die ihr ausgesetzt waren, nicht selten wütende Proteste hervorgerufen. Tausende von Leserbriefen in Lokalzeitungen, die in Reaktion auf aufgestellte oder geplante Kunstwerke geschrieben wurden, haben der Kunstgeschichte das geballte Unverständnis und nicht wenig Empörung jener eingebracht, die mit ihr nicht vertraut waren. Das bot wiederum der Kunst die nicht ungern wahrgenommene Gelegenheit, ihre GegnerInnen als hinterwälderisch abzutun und des kulturellen Deppentums zu bezichtigen. Davon konnte man sich als KünstlerIn hervorragend abgrenzen.

Diese Tatsache verleitet immer noch zu der Annahme, Kunst im Öffentlichen Raum sei provokant und unbeliebt. Ein Trugschluss, wie Kunstkritik und Soziologie nachweisen konnten. So zeigt die Kunsthistorikern Birgit Sonna einerseits auf, dass die Art von Kunst heute nur noch sehr selten provoziert. [1] Und andererseits ist sich das befragte Kunstpublikum – laut einer Studie des Soziologen Ulf Wuggenig – zu drei Vierteln darin einig, dass Kunst im Öffentlichen Raum demokratischer ist als die in Museen und Galerien ausgestellte. [2] Und dass es einen Bedarf der Bevölkerung an dieser Kunst gibt.

Die Bevölkerung von Scheibbs bildet da keine Ausnahme. Zumindest sofern sich von dem durchweg positiven Feedback auf Bedarf und Bedürfnis schließen lässt. Das gebe es ja jetzt überall, warum also nicht auch in Scheibbs – „denn schließlich und endlich sind wir ja eine Stadt!“ Von dem konkreten Projekt „Kunst im Öffentlichen Raum“ hat die Bäckerei-Verkäuferin in der kleinen Passage nahe dem Kapuzinerplatz allerdings noch nichts gehört. Obwohl das Projektbüro in einem leeren Geschäft im gleichen Gebäude eingerichtet ist. Seit einem halben Jahr, zwanzig Meter von ihrem Arbeitsplatz entfernt. Die Reichweite von Kunst ist eben begrenzt. Und sie sei ja auch nicht aus Scheibbs. Anders als ihre Kollegin in der Bäckerei hat die Verkäuferin im schräg gegenüber liegenden Kleider-Discounter alle Artikel über die „Kunst im Öffentlichen Raum“ in der Zeitung gelesen. Und ist gespannt. In der Sparkasse auf der Hauptstraße ist man zwar nicht so gut informiert, wüsste aber auch nicht, was gegen das Projekt einzuwenden sein sollte. Auf die Frage, ob das Projekt eventuell eine Zunahme des Tourismus verspreche, wird im Reisebüro nebenan nur geschmunzelt. Es gebe ja nicht einmal ein Hotel – das einzige sei gerade wegen Renovierungsarbeiten geschlossen. Zugemacht haben auch die meisten Geschäfte im südlichen Teil der Hauptstraße. Hier prägen leere Schaufenster das Straßenbild. In einem dieser ehemaligen Läden hat die Sozialistische Jugend ihr Domizil, das Karl-Münichreiter-Haus, KAMÜ genannt. Über das kulturelle Angebot der Stadt, die offiziell 4341 EinwohnerInnen zählt, sind die Jugendlichen bestens informiert. Gerade weil es für sie außer dem KAMÜ oder dem Park – „aber da kommt gleich die Polizei“ – nichts gibt, schätzen sie das jährlich stattfindende Jazz-Festival. Und auf die „Kunst im Öffentlichen Raum“ freuen sie sich richtig.

Von der Kooperation mit den KünstlerInnen weiß der Stadtrat und Gründer der Initiative „Scheibbs.Impuls.Kultur“, Raimund Holzer, ebenfalls nur Positives zu berichten. Alle Beteiligten hätten schwer gearbeitet und intensive Zeiten in Scheibbs verbracht. Sogar mit den Bauern hätte es rege Kontakte gegeben.
Auch die Abgrenzung der KünstlerInnen von den Kunstfernen scheint sich also als Vorurteil zu erweisen. Verwunderlich ist auch das eigentlich nicht. Denn schließlich können beide nur gewinnen, das heißt, sich gegenseitig aufwerten. Scheibbs, die „Kulturstadt im Ötscherland“, kann sich mit Kunst im Öffentlichen Raum ihres selbst ernannten Titels versichern. Und die KünstlerInnen arbeiten sicherlich lieber in und an einer Kulturstadt, als in der ländlichen Provinz. Das kommt auch ihnen zu Gute. Denn Kunst im Öffentlichen Raum hat im Feld der Kunst keinen guten Ruf. Gerade weil sie sich stärker als die Museumskunst an die soziale Peripherie der Gesellschaft wendet, gilt sie selbst als randständig und – in den Worten des französischen Soziologen Pierre Bourdieus – als „semi-legitim“. Bei Fachzeitschriften beispielsweise, auch das hat Wuggenig nachgewiesen, ist eine „ausgeprägte Distanz zu Kunst im öffentlichen Raum“ festzustellen.
Dahinter steckt zum einen die Vorstellung, dass das, was massenkompatibel ist, weder ästhetisch anspruchsvoll noch kritisch sein kann. Und zum anderen liegt dem vielleicht auch häufig eine zu statische Auffassung von Öffentlichem Raum zu Grunde: Hier ist der Raum und da kommt die Skulptur, die ihn verschönert – ob sie nun wie früher eine „drop sculpture“ ohne Bezug zum Ort oder, wie seit etwa zwanzig Jahren gängig, „site specific“ ist.

Einem solchen Verständnis arbeitet das von Hemma Schmutz, Direktorin des Salzburger Kunstvereins, und der Präsidentin der Wiener Secession, Barbara Holub, für Scheibbs entwickelte Konzept allerdings entgegen. Es setzt an den konkreten Gegebenheiten vor Ort an. Der Öffentliche Raum wird demnach nicht erst von der Kunst „ästhetisiert“, sondern er wird, wie der Künstler Olaf Nicolai es formuliert hat, als „ein gestalteter, immer schon geformter Raum“ wahrgenommen. [3] In diesen – und damit ist die schöne Altstadt ebenso gemeint wie die sozialen Beziehungen ihrer BewohnerInnen, die verwaisten Geschäfte auf der Hauptstraße genauso wie das kulturelle Erbe – interveniert das Kunstprojekt. In den Worten Nicolais formatiert die Kunst damit „Räume als Konglomerate von Inszenierungen“.
Anders ausgedrückt: Die Reaktionen auf die Kunst sind Teil jener Öffentlichkeit, die „Kunst im Öffentlichen Raum“ erst herstellt. Sie, die Reaktionen, sollten laut Nicolai daher auch nicht als Gegensätze aufgefasst werden, die entweder puren Genuss der schönen Form (bzw. Empörung über die hässliche) oder Kritik an den Verhältnissen hervorzurufen im Stande ist. Denn die Fragen, die sich durch sie auftun, „Fragen nach Form, Stimmung, Attitüden und Stil (seien) kein luxuriöses Spiel mit Oberflächen“, sondern „Fragen nach Organisationsformen von Handlungen“. [4]

Wie sich die Handlungen der ScheibbserInnen künftig organisieren, wird sich im Anschluss an das Projekt noch zeigen. Denn wer weiß, wie eine Gemeinde, die Dank eines neuen Schutzsystems die alljährliche Überflutung durch die Erlauf gerade in den Griff bekommen hat, auf die Überschwemmung ihrer Rathausstiegen durch den Nürnberger Künstler Georg Winter reagiert. Oder wie die Kleinstadt, die in ihrer Chronik zwar 1889 die Übernachtung Kaiserin Elisabeths im Hotel Reinöhl – damals gab es noch eins – verzeichnet, sich über die dreißiger Jahre aber ausschweigt, auf die Fragen zum Nationalsozialismus reagiert, die das Künstlerinnenduo Klub Zwei mit SchülerInnen vor Ort erarbeitet hat. Der ein oder andere Leserbrief ist da möglicherweise trotz allem zu erwarten.


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[1] Birgit Sonna: Von der Behördenkunst zur Kaffeefahrttrophäe. Die Kunst des öffentlichen Raums im Spiegel von Medien und Publikumsumfragen, in: Florian Matzner (Hg.): Public Art. Kunst im öffentlichen Raum, Ostfildern-Ruit 2001, Hatje Cantz Verlag, S. 629-635.
[2] Ulf Wuggenig: Kulturelle Praxis, sozialer Raum und öffentliche Sphäre, in: www.kunstmuseum.ch/andereorte/ [1997] (04.08.2006)
[3] Olaf Nicolai: Die Kunst, der öffentliche Raum, das Geniessen und die Kritik, in: Florian Matzner (Hg.): Public Art. Kunst im öffentlichen Raum, Ostfildern-Ruit 2001, Hatje Cantz Verlag, S. 263-267, hier S. 263.
[4] ebd., S. 267.