in: graswurzelrevolution Nr. 300, Münster, Juni 2005, S. 15.

Esst keine Schrimps!
Die Film-Doku „Der Garnelenring“ zeigt die ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen des Garnelen-Konsums – und verdirbt den Appetit

Am Anfang rollt ein Einkaufswagen durch einen hiesigen Supermarkt. Der Gedanke, der damit angeschoben wird, ist bestechend: Während der Verpackungsaufdruck normalerweise über Herkunftsland, Inhaltsstoffe und Hersteller von Lebensmitteln aufklärt, bleiben andere wichtige Informationen über Konsumgüter unerwähnt. So zum Beispiel die sozialen und ökologischen Auswirkungen, die die Produktion, die Verteilung und der Konsum eines Produktes mit sich bringt. Auf eine Packung Garnelen, auch Schrimps genannt, würden diese Effekte allerdings nicht mehr drauf passen. Gerade weil sich der ehemalige Luxusartikel in Europa und den USA mittlerweile zur viel verzehrten Vorspeise und Beilage entwickelt hat, sind die Folgen seiner Herstellung immens. Um darüber zu informieren, braucht es zum Beispiel kritische Dokumentationen.

Die Geschichte der Garnelenzucht ist dabei auch für Leute von Belang, die sich aus so genannten Meeresfrüchten nichts machen. Denn sie ist eine exemplarische Geschichte, ein beispielhaftes Kapitel aus dem Gesamtwerk neoliberaler Globalisierung. Es spielt unter anderem in Mittelamerika und hat nicht nur mit hiesigen Konsumgewohnheiten zu tun. In ihrem Dokumentarfilm widmen sich Dorit Siemers und Heiko Thiele der gegenwärtigen Situation an den Küsten von Guatemala und Honduras. Im subtropischen und tropischen Klima der dortigen Mangrovenwälder finden Garnelen besonders gute Lebensbedingungen vor. Die Verhältnisse für die ansässige Bevölkerung allerdings haben sich zusehends verschlechtert. Denn Schrimps sind ein rentables Exportprodukt – allein jede/r BundesbürgerIn isst davon rund 1,4 Kilo durchschnittlich im Jahr – und damit zu einer Sache von finanzkräftigen Konzernen geworden. Statt mit dem Boot werden Schrimps heute aus großen, extra für sie angelegten Becken gefischt. Aber nicht nur die bloße Existenz der Schrimpsfarmen raubt den örtlichen Fischerfamilien die Existenzgrundlage. Für die Garnelenbecken werden die Mangroven abgeholzt und um die Garnelen vor Virenbefall zu schützen, werden ihrem Futter Medikamente beigemischt. Dass diese, mit dem verfaulten Restfutter in die Flüsse und ins Meer abgelassen, die Gesundheit der dort lebenden Menschen nicht gerade fördern, ist nicht schwer vorzustellen. Auch der Chemieriese Bayer verdient an krebserregenden, in Europa längst verbotenen Antibiotika, die vor Mittelamerikas Küsten ins Wasser geschüttet werden.
Dokumentarische Arbeit ist immer eingebunden in das, was Michel Foucault die „Politik der Wahrheit“ genannt hat. In dieser wird auch die Macht auf ihre Wahrheitsdiskurse hin befragt. Indem Siemers und Thiele nicht nur das Schicksal einzelner schildern, sondern die Schrimpsfarmen als Auswirkung von Freihandelsverträgen und als einen Teil neoliberaler Großprojekte wie dem Plan Puebla Panama (PPP) ausmachen, hinterfragen sie auch die hegemoniale Wahrheitsproduktion. Die Behauptung des mexikanischen PPP-Vertreters, die geplanten und bereits umgesetzten Strukturmaßnahmen – zu denen u.a. auch Schrimpsfarmen gehören – würden Wohlstand, Bildung, Arbeitsplätze und Umweltschutz fördern, erscheint jedenfalls als eine „Wahrheit“, die sich nirgendwo in der Wirklichkeit wiederfindet.
Siemers und Thiele lassen mit Fischern und UmweltaktivistInnen die Betroffenen zu Wort kommen, setzen aber auch den Direktor des Dachverbandes der Schrimpsindustrie oder den Chef einer Fabrik ins rechte Licht, in der die Schalentiere weiterverarbeitet und verpackt werden. Während ein ehemaliger Angestellter die Arbeitsbedingungen in den Kühlhallen kritisiert – Zeitarbeitsverträge, niedrige Löhne und hohe gesundheitliche Belastungen –, sind Konzern- und Regierungsvertreter voll des Lobes für die angebliche Schaffung von Arbeitsplätzen und preisen den Schrimpsexport als boomende Alternative zum weltmarktbedingten Rückgang der Kaffeeausfuhr. Die staatliche Garantie niedriger Zölle und Steuern für die internationalen Unternehmen bürgt allerdings – wie in anderen Bereichen auch – gerade nicht für die Verbesserung der Lebensbedingungen der örtlichen Bevölkerung.
Der Garnelenring ist also kein mafiöser Klan, der hinter verschlossenen Türen und in Hinterhöfen seine dreckigen Geschäfte abzieht. Er ist vielmehr ein Ausschnitt aus der ganz normalen Kette neoliberaler Handelsbeziehungen. Wenn es um ökonomische Verflechtungen in Lateinamerika geht, spielt das Bild vom Hinterhof dennoch eine Rolle. Nicht nur Konzerne aus den USA nutzen die für die günstigen Produktionsbedingungen in den Ländern Mittel- und Südamerikas. Auch Großbritannien, Deutschland und Spanien gehören zu den wichtigsten Importeuren von Schrimps. Dass und wie Produktions- und Konsumtionsbedingungen in einer „globalisierten Welt“ zusammengedacht werden müssen, daran erinnert der Film in eindringlicher Weise. Hier werden die Einkaufswägen vollgepackt.

Jens Kastner

Der Garnelenring. Der Globale Supermarkt zerstört Mangrovenwälder, Artenvielfalt und Lebensgrundlage der Küstenbevölkerung. Ein Film von Dorit Siemers und Heiko Thiele, DVD/VHS, Deutschland 2005, 55 min., Verleih: film(at)zwischenzeit-muenster.de

Zwischenzeit
Initiative für soziale, interkulturelle und ökologische
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