in: graswurzelrevolution, Münster, Nr. 331, September 2008, S. 7.

Vom Zapatismus lernen…
…heißt postmoderne Kriege führen lernen. Oder: Wie das Pentagon den Netzkrieg entdeckte
 
Das Buchcover ist in Brauntönen gehalten, das Foto eines Maya-Reliefs geht pixelig in ein anderes über, auf dem Computer und Faxgeräte zu sehen sind, dazwischen der Titel: „The Zapatista Social Netwar in Mexico“. Was wie ein interessantes Buch aus einem linken Kleinverlag wirkt, ist auch interessant, aber weder klein noch links. Die vor nunmehr zehn Jahren, im April 1998 erschienene Studie zum zapatistischen Aufstand ist alles andere als ein Solidaritätsprojekt: Erstellt wurde sie im Auftrag des Pentagon. Die US-Armee hat mit dieser Aufgabe das Forschungsinstitut RAND Arroyo Center betraut, dessen MitarbeiterInnen David Ronfeldt, John Aquilla, Graham E. Fuller und Melissa Fuller die Mobilisierungskampagnen der Zapatistas untersucht haben. Zwar wird im Bucheinschlag betont, dass die wiedergegebene Meinung oder Politik nicht denjenigen der Auftraggeber entsprechen müssen. Das RAND Arroyo Center, eine Abteilung der großen Politikberatungsfirma RAND, wirbt allerdings auf seiner Hompepage damit, bundesweit das einzige von der US-Armee finanzierte Forschungsinstitut zu sein (http://www.rand.org/ard/about.html).

Das Buch ist in verschiedener Hinsicht erstaunlich. In jedem Falle ist es Teil eines Trends, die moderne Kriegsführung zu modernisieren, d. h. neuen Bedingungen anzupassen. Vielleicht sollte es auch postmoderne Kriegsführung heißen, denn das erstaunliche an Büchern wie The Zapatista Social Netwar besteht darin, dass Gedanken und Konzepte der philosophischen und soziologischen Theorie der Postmoderne für die Armee nutzbar gemacht werden sollen. Sich mit dieser Nutzbarmachung zu beschäftigen, soll nun aber, um das gleich vorweg zu nehmen, nicht der Denunziation dienen: So wenig wie Karl Marx die Schuld an den Verbrechen des Stalinismus trägt, so wenig sind Michel Foucault oder Gilles Deleuze für die Strategien der US-Armee verantwortlich. Erstaunlich ist vielmehr, mit welcher Selbstverständlichkeit emanzipatorische Ideen für militaristische Anliegen dienstbar gemacht werden können: Sowohl das Buch von Ronfeldt u. a. wie auch die Adaption von Gilles Deleuze in der israelischen Armee, die Eyal Weizman beschrieben hat, sind Lehrstücke der Vereinnahmung (vgl. Eyal Weizman: Durch Wände gehen, http://eipcp.net/transversal/0507/weizman/de). Wie bei Deleuze, dessen antiautoritäres Vermächtnis lautete: „Lasst keinen General in euch aufkommen!“, stehen solche Indienstnahmen auch bei den Zapatistas den eigentlichen Intentionen der Theorie diametral entgegen. Dass von staatlichen Kriegsherren dennoch nicht viel aufgewendet werden muss, um daran anzuknüpfen, kann erschrecken, verwundern oder Sorge bereiten. Solange solche Ansätze nicht hegemonial werden, lässt sich sogar noch darüber schmunzeln.

The Zapatista Social Netwar beschreibt vor allem die ersten beiden Jahre des Aufstands im mexikanischen Süden. An der Analyse ist wenig auszusetzen: Der Zapatismus habe schnell aus der militärischen Unterlegenheit gegenüber der mexikanischen Armee die Konsequenzen gezogen und sich auf die Mobilisierung von verschiedenen, zivilgesellschaftlichen Netzwerken konzentriert. Erst das Gelingen dieser Mobilisierung habe das politische System Mexikos erschüttert und weit darüber hinaus Effekte gezeitigt: Mehr als so manche pro-zapatistische BeobachterInnen betonen Ronfeldt u. a. den außerordentlich Druck auf ganz Lateinamerika und darüber hinaus, den der zapatistische Aufstand für den damaligen politischen Status Quo ausgelöst hat. Gerade die Schwerpunktverlagerung auf gewaltfreie Aktivitäten habe der Guerilla ihre internationale Bedeutung verliehen. Hier stimmen die AutorInnen durchaus mit linken BeobachterInnen überein, die den Zapatismus als „postmoderne“ oder „Diskursguerilla“ beschrieben haben. Zentrales Merkmal der Zapatistas sei die politische Organisation in Netzwerken – im Gegensatz zu früheren, an Hierarchien orientierten Organisationsmodellen. Hier beziehen sich die Ronfeldt u. a. auf die Netzwerk-Theorie des Soziologen Manuell Castells, und man meint, einen gewissen begeisterten Unterton angesichts der Effizienz dieser Organisationsform zu vernehmen. Dann allerdings gelangen sie zu zweifelhaften Gleichsetzungen, wenn sie feststellen, dass auch andere „terroristische Gruppen“ wie die Hamas sich mittlerweile mehr in Netzwerken als um autoritäre Führer (wie noch die PLO) organisierten. Die Differenzen zwischen Basisdemokratie und sozialrevolutionären Ansprüchen auf der einen und patriarchalen Strukturen wie religiösem Wahn auf der anderen Seite halten die AutorInnen offenbar für irrelevant.

Aber nicht nur in organisatorischer, sondern auch in taktischer Hinsicht habe die EZLN schnell gelernt. Aus der dem „Krieg des Flohs“, also des kleinen, aussichtslos unterlegenen Kombattanten, habe man den „Krieg des Schwarms“ entwickelt: Andere Indigene Organisationen, AktivistInnen aus den USA, Kanada und Europa, Menschenrechts- und UmweltaktivistInnen, all diese Leute habe man mit einbezogen und vernetzt: flexible, konjunkturelle und horizontale Beziehungen seien aufgebaut worden. Diese Form der Vernetzung sei wiederum entscheidend für den Erfolg der zapatistischen Informationskampagnen gewesen. Den Zapatistas sei es durch diese vernetzten, zivilgesellschaftlichen Kampagnen immer wieder gelungen, die mexikanische Regierung sowohl bei militärischen Angriffen als auch in den Verhandlungen zurückzudrängen. Information, das sei überhaupt eines der wichtigsten Terrains zeitgenössischer Kriegsführung. Denn auf diesem Gebiet ginge es nicht nur um die Übermittlung von Tatsachen, sondern auch um die Ausbildung eigener kultureller Codes als Schlüssel für das Verständnis der sozialen Welt.

Ziel der ganzen, kulturtheoretisch höchst informierten Darstellung ist selbstverständlich nicht, das wissenschaftliche Interesse am postmodernen Aufstand der zapatistischen Guerilla zu wecken. Das RAND Arroyo Center ist angetreten, um Empfehlungen für den counternetwar, den Gegennetzkrieg, auszusprechen. Die US-Armee soll aus dem Desaster der mexikanischen Armee gegen die Zapatistas ihre Schlüsse ziehen. Das mexikanische Beispiel habe gezeigt, dass auf organisatorischer, technologischer und informationeller Ebene ein Umdenken in den US-Militärstrategien notwendig sei. In den neuen Kriegen, bei denen sich eine große Armee und kleine, vernetzte Strukturen gegenüberstünden, sei anders als beim Kampf gegen die Guerillas früherer Jahrzehnte neben der Kontrolle der Informationsflüsse auch entscheidend, den Kontakt zu Nichtregierungsorganisationen (NGO) zu pflegen. Man müsse vom Zapatismus lernen, die NGO in die Kämpfe mit einzubeziehen. In der israelischen Armee hat die Idee des Schwarms, der den Gegner an vielen Stellen gleichzeitig attackiert, schon begeisterte Befürworter gefunden – wie Weizman in seiner Studie zeigen kann. Es geht also nicht mehr nur um psychologische, sondern auch um kulturelle Kriegsführung: Die nicht-hierarchischen Netzwerkstrukturen würden die hierarchische Form als Quelle der Macht ablösen. Deshalb müsse sie genutzt werden, wie die Zapatistas es vorgemacht haben, denn sie zu nutzen heiße, an den sozialen Codes zu arbeiten. Von den Zapatistas lernen bedeutet also, den Krieg nicht nur netzwerkartig auf alle gesellschaftlichen Bereiche, sondern auch auf die menschliche Wahrnehmung selbst auszudehnen, nämlich auf die Frage, wie Menschen soziale Sachverhalte interpretieren (nichts anderes bedeutet ein kultureller Code).
Wie nun die AnhängerInnen der Netzwerk-Theorie über die Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Erkenntnisse durch die FreundInnen des Pentagon denken, ist eine offene Frage. Sicher aber ist, dass auch think tanks wie die RAND („objective analysis. effective solutions“) ihren Teil zur Arbeit an den kulturellen Codes beitragen. Denn selbstverständlich feilen auch solche Unternehmen für Politik- und Militärberatung an der öffentlichen Wahrnehmung von Kriegsszenarien und Konflikten. Dass sie dabei auch auf alternatives Wissen, gewalt- und hierarchiefreie Kommunikationsmodelle und postmoderne Guerilla-Taktiken zurückgreifen, zeugt nicht unbedingt von deren mangelndem Gebrauchswert. Welche Schlüsse soziale Bewegung aus dieser ungeheuren (und ungeheuerlichen) Nützlichkeit ziehen sollten, wäre zu diskutieren.

Jens Kastner

David Ronfeldt, John Aquilla, Graham E. Fuller und Melissa Fuller (Hg.): The Zapatista Social Netwar in Mexico, Santa Monica, CA 1998 (RAND).


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