in: Lateinamerika Anders. Österreichs Zeitschrift für Lateinamerika und die Karibik, Nr. 4/2011, 36.Jg., Wien, S. 29.[Initiates file downloadDownload Artikel als pdf]

Kampf der Zeichenfiguren

Der Zapatismus gehört sicherlich zu den faszinierendsten sozialen Bewegungen der letzten zwei Jahrzehnte. Auch wenn das internationale Medienecho um die Rebellinnen und Rebellen, die im Januar 1994 im Südosten Mexikos ihren Aufstand begannen, etwas abgeflaut ist: Die Bewegung, deren autonome Selbstverwaltungsstrukturen nach wie vor funktionieren, lebt. Und sie hat Spuren hinterlassen. Zwei VertreterInnen von Via Campesina, dem Dachverband von mehr als 150 Kleinbauern-Organisationen aus 50 Ländern, betonten etwa in einem Interview, welch „große Inspiration“ der Zapatismus für ihre Mobilisierung gewesen sei. Dieses Beispiel stammt aus dem neuen Comic, den der Zeichner Findus und der Soziologe Luz Kerkeling gemeinsam über den Zapatismus gemacht haben. Sie verorten die Bewegung aber in einem anderen Milieu, das für ihren Bekanntheitsgrad vielleicht noch entscheidender war: Am Anfang der Story kommen vier Junggebliebene von einem Latin-Ska-Konzert und treffen auf ein paar AktivistInnen. Diese laden sie zu einer Info-Veranstaltung ein, da wird dann die ganze Geschichte des Zapatismus aufgerollt. Und was sich vor einem, dem Outfit nach autonom-globalisierungskritischen Publikum da entspannt, hält durchaus allen Kriterien stand, die an eine solche Kurzdarstellung zu legen sind. Kolonialismus und die Mexikanische Revolution (1910-1920) kommen vor, in deren Kontext natürlich der namensgebende Revolutionär Emiliano Zapata, aber auch der Anarchist Ricardo Flores Magón als libertärer Ideengeber. Dann der Neoliberalismus in Mexiko, dessen ökonomische und soziale Auswirkungen schließlich die Erhebung hervorgerufen haben. Die Feierlichkeiten zum Abschluss des Nordamerikanischen Freihandelsvertrages (NAFTA) werden vom zapatistischen „¡Ya Basta! Es reicht!“ deutlich vermiest, im Comic wird wütend der Sekt verschüttet.

Ohne dass es zu schematisch oder gar langweilig würde, werden dann wichtige Stationen der Bewegung und zentrale Aspekte ihres Aufstands nachgezeichnet. Die zapatistische Basisdemokratie wird skizziert, der besondere Einfluss der Frauen und ihrer Emanzipationsanliegen auf die gesamte Bewegung betont und dann werden die einzelnen Bereiche der konkreten Umwälzungen angegangen: Bildung, Gesundheit, Justiz, Alternative Ökonomie. Am Beispiel der Kaffeeproduktion werden auch die Probleme diskutiert, die für jede Form solidarischen Handels innerhalb der kapitalistischen Marktwirtschaft auftreten. Mit Groß-Ereignissen wie den beiden „Intergalaktischen Treffen“ 1996 und 1997 hatte der Zapatismus auch die globalisierungskritische Bewegung mit angestoßen. Diese werden wie auch die anderen zivilgesellschaftlichen Aufrufe und –märsche beschrieben. Und der kleine Käfer Don Durito aus den Erzählungen von Subcomandante Marcos, dem Sprecher der Guerilla, taucht mit einer Kostprobe des eigenen Schaffens auf. Poesie aus dem lakandonischen Urwald, auch das ist der Zapatismus. Auf der Info-Veranstaltung, die die Rahmenerzählung des Schwarzweiß-Comics abgibt, wird aber auch der gegenwärtige „Drogenkrieg“ in Mexiko ebenso wenig ausgespart wie die so genannten „Entwicklungsprojekte“, mit denen bzw. gegen die die Zapatistas auch zu kämpfen haben. Große Infrastruktur-Vorhaben der Regierung bedrohen nicht nur die subsistenzwirtschaftlichen Erfolge der Bewegung, sondern den sozialen Zusammenhalt insgesamt.

Zeichnerisch ist der Comic gradlinig, klar und schnörkellos wie die Sprache – dadurch allerdings auch relativ überraschungslos. Es werden beschriebene Szenen bebildert, ein paar bekannte Pressefotos abgezeichnet und damit kommentiert, ansonsten wird aber mit zeichnerischen Mitteln kaum über die Aussagen der Worte hinausgewiesen. Findus bleibt dem Stil treu, den er schon in „Kleine Geschichte des Anarchismus. Ein schwarz-roter Leitfaden“ (Verlag Graswurzelrevolution, 2010) angewandt hatte: Klare Kontraste, harte Kontur und die Schraffur breit. Und Kerkeling erweist sich einmal mehr als wichtiger Vermittler der Bewegung, der er seit seiner Veröffentlichung „La Lucha Sigue – Der Kampf geht weiter. EZLN – Ursachen und Entwicklungen des zapatistischen Aufstands“ (Unrast Verlag, 2. Aufl. 2006) durch zahlreiche Artikel ist. In ihrer didaktischen Art sind aber beide Sprechweisen, zeichnerische wie textliche, völlig in Ordnung. Sie wollen agitieren, und das machen sie gut. Die „Kleine Geschichte des Zapatismus“ steht damit auch in der Tradition von Polit-Comics wie denen des mexikanischen Cartoonisten Eduardo del Río, genannt Rius. Mit Comics wie „Marx für Anfänger“ oder „Mao für Anfänger“, die in den 1980er Jahren auflagenstarkt bei Rowohlt verlegt wurden, hatte Rius es auch im deutschsprachigen Raum zu einiger Bekanntheit gebracht. Ähnlich wie in dessen Einführungsbüchern wird auch bei Findus/Kerkeling mehr auf den Fließ- als den Sprechblasentext vertraut.

Nachdem der Comic in den 1960er Jahren als Träger politischer Inhalte entdeckt und von linken Subkulturen genutzt worden war, ist er als solches Transportmittel längst allgegenwärtig. Zuletzt hatte die rechtspopulistische FPÖ im Wiener Wahlkampf mit einem Comic-Strip von sich reden gemacht, weil darin der Parteiführer H.C. Strache als mittelalterlicher Fantasy-Held einen Jungen dazu auffordert, einem anderen namens „Mustafa“ mit der Steinschleuder eins „aufzubrennen“. Auch das Leben von Michelle Obama gibt es längst als Comic (Bluewater Verlag, 2009). Es sind dies immer auch kleine Scharmützel um die politische Besetzung von Ausdrucksformen. Ein gut gemachter, linker Comic wie die „Kleine Geschichte des Zapatismus“ ist so gesehen zugleich eine Raumnahme im Kampf um die Zeichenfiguren – und einer mit ihnen.

Jens Kastner

Findus und Luz Kerkeling: Kleine Geschichte des Zapatismus. Ein schwarz-roter Leitfaden. Münster 2011, Unrast Verlag, ISBN 978-3-89771-041-2, 68 S., 8,90 Euro.




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“Everything for everyone!” 
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in: translate. transversal webjournal, „On Universalism“, 06/2007, Vienna.
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“¡Todo para todos!” Diferencia cultural, igualdad social y política zapatista
in: translate. transversal webjournal, „On Universalism“, 06/2007, Viena.
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„¡Vivan las Americas!“ Neozapatismus und Popkultur 
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