in: Neues Deutschland, Berlin, 21.10.2015, S. 14.
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„Liebe zur Kunst“ in Anführungszeichen
Eine neue Studie zur Art Basel bietet erhellende Einblicke in das Verhältnis von Kunst und Kapital

Von Jens Kastner

Die Wertschätzung bildender Kunst gegenüber geschah lange Zeit relativ unabhängig von ökonomischen Maßstäben. Zwar waren berühmte Künstler wie Rembrandt bereits als Unternehmer tätig und Kunsthändler wie Paul Durand-Ruel spielten eine wichtige Rolle für den Aufstieg des Impressionismus. Dennoch galt das Geldverdienen mit Kunst zumindest als verpönt, wenn nicht gar dem eigens künstlerischen Wert eines Werkes als abträglich.

Das änderte sich mit dem Aufkommen der Pop Art. Die Orientierung der Werke an Alltagsgegenständen erleichterte den Zugang zur Kunst für die zu Geld gekommenen Mittelschichten im prosperierenden Fordismus. Vor diesem Hintergrund erst konnte Andy Warhol offen behaupten, ein Bild doppelt so groß zu machen, um das Doppelte daran zu verdienen.

Wie prekär aber letztlich das Verhältnis der Kunst zum Geld ist, zeigt eine neue Studie zur Art Basel. Selbst auf dieser bedeutendsten Kunstmesse der Welt ist der Verkauf darauf angewiesen, sich mit der „Qualität“ der Kunstwerke zu rechtfertigen. Überhaupt geht es gar nicht in erster Linie um „den kommerziellen Geschäftsverkehr“. Kunstmessen wie die Art Basel dienen immer auch der Kommunikation und der Zurschaustellung der eigenen Kulturbeflissenheit.

Die Art Basel wurde 1970 gegründet, in einer Zeit, in der es noch kaum Kunstmessen gab. Trotzdem kamen gleich 15.000 BesucherInnen, heute sind es etwa 90.000. Das Team um den Soziologen Franz Schultheis hat Befragungen durchgeführt, Selbst- wie Fremddarstellungen untersucht und dabei ein umfassendes Bild dieser Veranstaltung erstellt.
Der Kunstbetrieb wird dabei als extrem elitär beschrieben. Angehörige unterer sozialer Milieus finden sich dort überhaupt nicht. Man bräuchte dieser Tatsache nun kaum weiter nachzugehen, wenn der Klassencharakter des Kunstkonsums nicht so folgenreich wäre. Er prägt nämlich etwas so vermeintlich Persönliches wie den Geschmack. Und zwar auch den derer, die sich nicht auf Kunstmessen herumtreiben. Die Gemeinsamkeit aller MessebesucherInnen besteht nämlich in der mehr oder weniger ausgeprägten „Liebe zur Kunst“. Diese Liebe in Anführungszeichen wird als universelles Zeichen für Kultur angesehen und wirkt dementsprechend als Anspruch und Forderung auf alle Mitglieder einer Gesellschaft. Wer zu ihr nicht in der Lage ist, riskiert nicht nur Kultiviertheit, sondern letztlich seine Menschlichkeit. In Wirklichkeit aber ist die „Liebe zur Kunst“ nichts anderes als „ein soziales Privileg, das seinerseits sozial privilegiert“, stellen die Autoren fest. Dass ihre sozialen Voraussetzungen geleugnet werden, ist zentraler Bestandteil des Kunstgeschehens.

Die „Liebe zur Kunst“ ist das gemeinsame Glaubensbekenntnis eines zwar bürgerlich-akademischen, aber doch ökonomisch recht unterschiedlich situierten Publikums. Anders als mit diesem Credo wäre nicht zu erklären, was das Gros der BesucherInnen eigentlich auf der Messe will. Kaufen jedenfalls nicht. Es sind „höchstens fünf von tausend“ BesucherInnen, die auf der Art Basel überhaupt etwas kaufen (können). Anders als bei Messen für Haushaltsgeräte oder Sexartikel, kommen die Leute offenbar gar nicht zum Konsumieren. Zumindest nicht in materieller Hinsicht. Die Aneignung findet rein symbolisch statt.

Diese symbolische Dimension ist allerdings entscheidend für den Kunstbetrieb. Kein Bild könnte teuer verkauft werden, hätte es nicht vorher symbolischen Wert aufgeladen. Und noch aus den Reihen der Schweizer Großbank USB, Hauptsponsorin der Messe, wird betont, wie wichtig der symbolische Gewinn bei ihrer Geldgebertätigkeit ist. Die Bank nutzt die Kunst ganz offensiv, um „Vertrauens- und Kreditwürdigkeit zu generieren“. An dem Buch von Schultheis wäre einzig die Ausweglosigkeit zu kritisieren, mit der die Dynamik des Kunstfeldes beschrieben wird. Denn jenseits des Messe- und Museumsbetriebes lassen sich ja durchaus Aktivitäten finden, die nicht bloß in der „Kanonisierung der Kanonkritik“ münden, die Schultheis u.a. konstatieren.

Das definitive Plus des Buches besteht darin, immer wieder auf den sozialen Kontext des ganzen Geschehens hinzuweisen: Die neue Bedeutung des Marktes sei letztlich nur Ausdruck veränderter Kräfteverhältnisse zwischen Industrie- und Finanzkapital, Kapital und Arbeit sowie Politik und Wirtschaft. Das gesamte „frühere Muster“ der Kapitalakkumulation werde infrage gestellt. Es geht also gar nicht so sehr um den Wandel innerhalb des – letztlich relativ kleinen – gesellschaftlichen Bereiches der Kunst, wie spektakulär hohe Preise für einzelne Bilder immer wieder suggerieren. Vielmehr haben wir es mit einer „grundlegend veränderten ökonomischen Konfiguration“ zu tun. Darin nimmt die Kunst zwar eine spezifische Rolle ein, weil die Werke eben doch einen symbolischen Wert generieren, ohne den es den ökonomischen gar nicht geben könnte. Dass die bildende Kunst aber von ökonomischen Maßstäben mehr und mehr durchdrungen wird, wie alle anderen Sektoren der Gesellschaft auch, daran kann nach dem lesen dieses Buches überhaupt kein Zweifel bestehen.


Franz Schultheis/Erwin Single/Stephan Egger/Thomas Mazzurana, Kunst und Kapital. Begegnungen auf der Art Basel. Köln: Verlag der Buchhandlung Walther König, 258 S, 29,80 €


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