in: Graswurzelrevolution, Nr. 329, Münster, Mai 2008, S. 12.

Das große Scheitern
Die Memoiren von Rossana Rossanda, der grauen Eminenz des italienischen Kommunismus, sind jetzt auf Deutsch erschienen

Mit ihrer politischen Tätigkeit sei sie im Übrigen erst seit ungefähr zwanzig Jahren endgültig gescheitert, schreibt Rossana Rossanda. „Gemessen an meiner Lebenszeit ist das nicht viel.“ Noch in den 1960er Jahren war sie eine überaus erfolgreiche Parteikommunistin. Als solche habe sie vor Selbstbewusstsein gestrotzt, betont die heute über achtzigjährige ehemalige Partisanin, Ex-PCI-Abgeordnete und Gründerin der Zeitung il manifesto. Dass sie auf dem Buchumschlag ihrer Geschichte mit jener Zeitung zu sehen ist, führt aber in die Irre. Zwar gehört es zu ihren großen Verdiensten, dieses heute noch linke Projekt mitgegründet zu haben. Mit den Umständen dieses Gründungsaktes, für den Rossanda und einige ihrer GenossInnen als Linksabweichler aus der Partei ausgeschlossen wurden, endet aber das Buch. Wie es zu jenem endgültigen Scheitern kam und warum sie dieses harte Urteil fällt, muss daher leider allein ein paar Andeutungen entnommen werden. Denn il manifesto erschien 1969 zum ersten Mal.

Damals gehörte Rossanda zu einer kleinen Gruppe von KommunistInnen innerhalb der italienischen Kommunistischen Partei (PCI), die sich in zwei wesentlichen Punkten von der offiziellen Parteilinie abheben wollten: Einerseits trugen sie die Duldung des militärischen Vorgehens der Sowjetunion gegen den „Prager Frühling“ nicht mit. Und andererseits sahen sie in den neuen unkontrollierten Streiks und den studentischen Protesten, die seit 1967 ganz Italien in Aufruhr versetzten, keinesfalls nur „Provokateure“ und „Extremisten“ am Werk. Als solche hatte die Führung der damals größten und einflussreichsten KP im Westen die AkteurInnen der sozialen Proteste abgetan. Die Kluft zwischen der alten und der neuen Linken war groß, „wir verlangten ein Recht auf Bildung, sie verwarfen die Schule als Instrument der Anpassung, wir verlangten ein Recht auf Arbeit, sie wollten das Ende der Lohnarbeit, wir verlangten Verteilungsgerechtigkeit, ihnen war der Konsum gleichgültig.“ Eine Bewegung, die sich gegen das Fortschrittsdenken richtete, musste der Partei suspekt erscheinen. Später beteiligte sich die KP sogar an drastischen Repressionsmaßnahmen gegen die außerparlamentarischen linken Bewegungen, die in Italien, anders als in anderen Ländern, bis 1977 stark blieben. Dass diese, im Zuge des „Historischen Kompromisses“ mit den ChristdemokratInnen verfolgte Politik nur die Konsequenz aus einem früheren Arrangement mit dem Status Quo war, legt Rossanda zumindest nahe.

Ein Scheitern allerdings hatte sie darin lange nicht gesehen. Auch nach der sowjetischen Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 hatte sie der Partei nicht, wie andere westliche MarxistInnen, den Rücken gekehrt. Zu verbindend schien das Erbe der Resistenza, des Widerstands gegen die nationalsozialistische deutsche Besatzung ab 1943, und zu sehr ging es um die Verschiebung von Kräfteverhältnissen innerhalb Italiens. Immerhin liegt darin eine wichtige Feststellung, die Rossanda mehrmals ausdrücklich hervorhebt: Es war der PCI nicht um die Einführung des Sowjetsystems gegangen, sondern um das Erkämpfen und Verteidigen von sozialen Rechten.

Dass die Partei die Speerspitze dieser Kämpfe war, daran glaubte sie noch bis in die späten 1960er Jahre. Die ParteikommunistInnen hätten als einzige an der Vermeidbarkeit der Unmenschlichkeit festgehalten. Deshalb wären sie „nicht wegen ihrer Fehler, sondern wegen dieser Tugend verhaßt“ gewesen. In beiderlei Hinsicht waren die AnarchistInnen der 1930er Jahre da sicherlich ebenso anderer Meinung wie die in Italien ab den frühen 1960er Jahren in Erscheinung tretenden OperaistInnen. Zu Recht, denn auch der Führungsanspruch der Kommunistischen Parteien innerhalb der Arbeiterbewegungen war stets umkämpft. Und die Einschätzung Rossandas steht letztlich auch im Widerspruch zu den von ihr selbst beschriebenen, ziemlich untugendhaften taktischen Manövern innerhalb der Partei. Von denen nach Außen ganz zu schweigen.

Rossanda schreibt eine persönlich-politische Geschichte des Widerstands gegen die Nazis, in die sie „unversehens hineingeraten“ war. Und sie schreibt die Geschichte eines daraus hervorgegangenen Nachkriegsitaliens, dessen politische Konflikte dem deutschsprachigen Publikum lange Zeit wohl vor allem durch die Verfilmungen von Giovanni Guareschis Romanen über „Don Camillo und Peppone“ geläufig waren. Auch der listige Pfarrer und sein etwas dümmlicher Widerpart, der kommunistische Bürgermeister, teilten die gemeinsame Partisanengeschichte. Dass die Kommunistin Rossanda, die ihre Partei für die „intelligenteste“ KP jenseits des Ostblocks hielt, über Don Camillo und Peppone erst im Nachhinein hat lachen können, versteht sich von selbst.

„Was ich anstrebte“, schreibt Rossanda, „mußte, wenn es funktionierte, das Werk vieler sein, und wenn sich nicht viele beteiligten, dann hieß das, daß es nicht funktioniert hat.“ So sei es dann auch gekommen, hier deutet sich einmal mehr das „endgültige Scheitern“ an. Was aber tun, wenn die Welt verändert werden muss, die Massen aber nicht mit von der Partie sind? Aus einem solchen Gefühl, nichts zu verlieren zu haben, war mit il manifesto schon „die für Intellektuelle typische Idee, eine Zeitschrift zu machen“, entstanden. So hält man es letztlich bis heute. Oder man schreibt Bücher.

Jens Kastner

Rossana Rossanda: Die Tochter des 20. Jahrhunderts, Frankfurt a. M. Suhrkamp Verlag, 476 S., 26,80 Euro.