in: ak – Analyse & Kritik, Nr. 535, Hamburg, 16. Januar 2009, S. 32.

Trügerisches Glücksversprechen

Zygmunt Bauman über die Verallgemeinerung künstlerischer Lebensentwürfe

Zygmunt Bauman setzt in seinem aktuellen Buch „The Art of Life“ sein zeitdiagnostisches Werk fort. Der soziologische Essay nimmt sich die Frage zum Ausgangspunkt, was gegenwärtig mit dem Glück nicht stimme. Dass diese Frage, eigentlich ein Paradoxon, überhaupt auftauchen konnte, liegt laut Bauman an der offensichtlichen Nicht-Einhaltung eines gesamtgesellschaftlichen Versprechens: Je mehr ökonomisches Wachstum, desto mehr Glück. An diesem Versprechen hätten in den letzten Jahrzehnten Regierungen ihre Programme ebenso ausgerichtet wie Individuen ihr Handeln („life politics“). Bei dem Versuch, über steigendes Einkommen Glück zu generieren, würden die Gewinne mittlerweile von den Verlusten übertroffen, die durch mangelnden Zugang zu Gütern ausgelöst würden, die sich eben nicht mit Geld kaufen lassen.

Anders formuliert: Sein Glück beim Konsum zu suchen, halte von zwischenmenschlichen Beziehungen ab. Moden und Marken zu folgen, verspreche - so Bauman - zwar kurzfristig quasi autoritative Führung auf dem Weg zum Glück. Allerdings erweise sich die konsumistische Variante der Glücksuche als fatal, weil sie extrem kurzlebig ist. Ihr wesentlicher Effekt ist es daher, „to keep one´s hope alive“.  Zudem sei Identität vom Lebensprojekt, das sie in der „soliden Moderne“ gewesen ist, in den „flüchtig modernen“ Gegenwartsgesellschaften auf ein momentanes Attribut zusammengeschrumpft. Waren Konstanz und Kohärenz früher Garanten dafür, dem Glück näher zu kommen, scheinen sie heute dabei gerade hinderlich: Denn der flexible Wechsel von Identitäten sei es, der heute die Hoffnung auf Glück aufrecht erhalte. Diese wiederum speise sich durch die Hoffnung darauf, den Unsicherheiten, die menschliches Leben schlechthin auszeichnen, zu entgehen. Das erhoffte Entkommen, so Bauman, wird aber durch die Konsumorientierung nur unwahrscheinlicher. Die Stabilität von diskriminierenden Identitätszuschreibungen durch Dominanzgesellschaften gehört für Bauman schlicht der Vergangenheit an. Diese nach wie vor wirkenden, repressiven Momente von Identität blendet er ebenso aus wie deren politisch-emanzipative Wendungen. So tauchen emanzipatorische Identitätspolitiken weder in ihrer feministischen noch in anderen Formen auf.

In den fünf Kapiteln von „The Art of Life“ greift Bauman verschiedene seiner Thesen aus früheren Büchern auf: Allein als Argumentationsfigur knüpft die These, die ständige Suche nach Glück habe den Zustand des Glücks (oder den Glauben an diesen Zustand) abgelöst, an Baumans Moderne-Kritik in seinen Hauptwerken „Dialektik der Ordnung“ und „Moderne und Ambivalenz“ an: Erst das angestrengte Bemühen, ein Ziel zu erreichen und die planvolle Vorgehensweise dabei verhinderten den Erfolg der Anstrengung.

Je mehr Wachstum, desto mehr Glück?

Warum widmet Bauman sich nun der Suche nach Glück und warum geschieht dies unter dem Titel „Lebenskunst“? Die Gegenwartsgesellschaften zeichneten sich dadurch aus, dass sich Chancen wie Risiken individueller Lebensgestaltung in nie da gewesener Vielfalt darböten und individuelle Entscheidungen erforderten. Als Soziologe untersucht Bauman die (gesellschaftlichen) Rahmungen dieser (individuellen) Entscheidungen, die –  geleitet von der Suche nach Glück – immer auch mit der Verantwortung für die Konsequenzen, die aus ihnen folgen, konfrontiert sind. In einer Watzlawik´schen Formulierung ließe sich Baumans zentrale These wie folgt fassen: Man kann heutzutage nicht nicht Lebenskunst betreiben. Die permanente Gestaltung des Lebens erscheint wie die Erfüllung jener Träume, die die künstlerischen Avantgarden des 20. Jahrhunderts angetrieben habe. Leben heute erscheint als immerwährendes Experiment, nur zu bewältigen mit ständiger Kreativität, daran ausgerichtet, im Moment zu leben und keine Spuren zu hinterlassen. Ähnliche zeitgenössische Thesen zur gesamtgesellschaftlichen Durchsetzung originär künstlerisch-avantgardistischer Ziele, wie sie beispielsweise von Luc Boltanski und Ève Chiapello, Paolo Virno oder Andreas Reckwitz vertreten, greift Bauman leider nicht auf.
Dass das Wir, das Bauman im zweiten Kapitel beschreibt („We, The Artists of Life“), ein bürgerliches ist, wird dabei durchaus reflektiert. Implizit an Pierre Bourdieu und explizit an Karl Marx anknüpfend, beschreibt Bauman die Mittelklassen als diejenigen, die durch permanentes Streben nach Verbesserung die wesentlichen Transformationen der modernen Ära angeschoben hätten. Dass dieses Wir hingegen in globaler Hinsicht nur eine relativ kleine Gruppe von Menschen umfasst, wie Bauman in u.a. in „Verworfenes Leben“ selbst dargestellt hat, wird hingegen kaum aufgegriffen. Und auch die Versuche, Unsicherheiten (uncertainty und insecurity) abzuschaffen und eine Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen, seien typisch bürgerliche Projekte gewesen.

Man kann nicht nicht Lebenskunst betreiben

Bauman hebt hervor, dass es auch auf gesellschaftlicher Ebene Strategien gibt, auf die gesteigerte Individualisierung zu reagieren. Indem er das von (explizit genannten) neoliberalen PolitikerInnen von Margaret Thatcher bis Nicolas Sarkozy oder Philosophen wie Francis Fukuyama konstatierte „Ende der Ideologien“ als neue Ideologie beschreibt, bezieht er auch politisch Stellung. Die von jenen vertretene Ideologie der Privatisierung sei vor allem dazu angetan, die Spaltungen der „society of consumers“ zu verschärfen.
Baumans politischer Standpunkt bleibt aber insgesamt ambivalent. Denn seine häufig klagenden Befunde haben hin und wieder auch ein konservatives Moment: So ist seine Kritik daran, dass Geschäfts- und Arbeitsbeziehungen heute wie Liebesbeziehungen eingegangen würden, durchaus zweischneidig: Gewissermaßen „von links“ kritisiert er das Eindringen der Arbeitswelt in vormals private Sphären und deren kapitalistische Indienstnahme; von einem eher kulturpessimistischen Standpunkt hingegen scheint ihm bedauernswert, dass lebenslange Loyalität (zum Beziehungspartner und/oder zur Firma) heute vor allem als Bürde aufgefasst wird. Dass solche Beziehungen auch von Macht durchzogen sind, denkt Bauman dabei nicht mit.
Für KennerInnen von Baumans Werk enthält dieses Buch viel Bekanntes, allerdings ist die Neuzusammensetzung bereits veröffentlichter Gedanken dennoch als gelungen zu bezeichnen. Denn – im Gegensatz beispielsweise zu „Liquid Fear“ – ist die Argumentation relativ konsistent und steht nicht in offenem Widerspruch zu vorher getätigten Aussagen. Somit kann dieses Buch auch als Einführung in das Denken Zygmunt Baumans fungieren. Die fehlende Bezugnahme auf soziologische Ansätze mit vergleichbaren Thesen ist bedauerlich und erfordert eine dringende Kontextualisierung.

Jens Kastner

Zygmunt Bauman. The Art of Life, Cambridge/UK 2008, Polity Press.


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