in: Springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Wien, Band XIII, Heft 2, Frühjahr 2007, S. 71.

Shandyismus. Autorschaft als Genre
Secession, Wien, 22.02.-15.04.2007

Jens Kastner

Methoden der Appropriation und der Montage sind nach Benjamin Buchloh ausschlaggebend dafür, die BetrachterInnen zu Subjekten der künstlerischen Produktion zu machen. Was Buchloh für konzeptuelle und post-konzeptuelle Kunst formuliert hat, muss wohl auch schon für das Buch „Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman“ (1759-1767) von Lawrence Sterne gelten. Sterne ermutigt den Leser und die Leserin – tatsächlich mal so und mal so adressiert –, sich ausgelassene Stellen selbst vorzustellen oder nimmt in der Geschichte auf die Zeit Bezug, die das Lesen bis zu einer bestimmten Stelle gedauert hat. Das in neun Teilen erschienene Werk, dessen Verfasser bzw. Protagonist sich dem/der LeserIn andient, ernstlich darauf aus und eifrigst bemüht zu sein, „durch diese kleinen Büchelchen, die ich dir in die Hand gegeben, manche dickeren Bücher entbehrlich zu machen“, dient nun als Grundlage einer Ausstellung.

Der Literaturwissenschaftler Uwe Wirth hatte vor ein paar Jahren allein schon das Lesen von Hypertexten als „radikalisierten Shandyismus“ bezeichnet. Kurator Helmut Draxler versucht nun, den „Shandyismus sowohl in seinen historischen Dimensionen als auch als neu zu entdeckende, aktuelle Strategie“ in der Kunst vorzustellen. Dafür haben sechs KünstlerInnen neue Arbeiten gefertigt, sechzehn Exponate aus der neueren Kunstgeschichte sind als Leihgaben dazu gehängt und in acht Vitrinen haben TheoretikerInnen und KünstlerInnen thematische Bezüge zum Buch hergestellt. Aber das erschließt sich keinesfalls auf Anhieb, denn so, wie bei Sterne Kapitel vertauscht, geschwärzt oder ausgelassen werden, folgt auch die Ausstellung keiner Chronologie. Sterne: „(E)in Zwerg, der einen Maßstab daherschleppt, um seine eigene Größe daran zu messen, – der ist, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, in mehr als einer Beziehung ein Zwerg. – Und soviel über das Herausreißen von Kapiteln.“ Der Autor Chuck Jones schuf 1953 den Autoren Bugs Bunny, der als Zeichntrickfigur sieben Minuten lang die Zeichntrickfigur Daffy Duck zeichnet und in die Irre führt. Das ist noch lustiger als den Künstler Michael Schuster bei dem Versuch zu beobachten, bei der Tour d´Autriche 1981 auf seinem Fahrrad mit den Radprofis mitzuhalten, als unautorisierter Autor sozusagen. In jedem Falle autorisiert aber noch weniger witzig ist die Person, die die Autorin Louise Lawler, 1986 auf Cibrachrome bannte. Die in weißer Bluse Abgebildete hält in ihrer linken Hand ein Kunstwerk aus Picassos kubistischer Phase und stellt mit ihrer herrischen Geste die Frage der Autorschaft als soziale Frage – zur Schau. Dass das Schöne und die Kritik, wie bei diesem Foto, dermaßen ineinsfallen, bleibt in der Ausstellung aber die Ausnahme. „Schriftsteller meiner Art haben einen Grundsatz mit Malern gemein“, schreibt Sterne/Shandy. „Wo ein genaues Wiedergeben unser Gemälde weniger effektvoll machen würde, wählen wir das geringere Übel; und halten es für verzeihlicher gegen die Wahrheit als gegen die Schönheit zu sündigen. Dies ist cum grano salis zu verstehen; doch möge dem sein wie ihm wolle – da die Parallele mehr deshalb gezogen wurde, um die Apostrophe einstweilen verkühlen zu lassen als aus einem anderen Grunde – so ist es nicht von großer Bedeutung, ob der Leser sie aus irgendeinem Grunde gut heißt oder nicht.“ Apropos Malerei: Kippenberger ist vertreten, Jutta Koether auch, und ein Gemälde ohne Titel von Monika Baer. Darauf zu sehen sind drei Augen, zwei davon offen, ein geöffneter Mund und in der Mitte eine bluttriefende Schweinenase. Shandys Vater ist Wissenschaftler, möchte zumindest einer sein und studiert, nachdem seinem Sohn kurz nach der Geburt die Nase bricht, ein (fiktives) Traktat mit dem verheißungsvollen lateinischen Titel „De nasis“. Aber die Nasen sind nur für die Familie Shandy wichtig, angeblich, und stehen für nichts anderes, darauf weist der Autor den/die zur Psychologisierung ansetzende/n LeserIn sofort und ausdrücklich hin. Wollte man über Psychologie sprechen – „Abschweifungen sind unleugbar der Sonnenschein – das Leben, die Seele der Lektüre“ (Sterne) –, so gäbe die an die Secessionswand angebrachte Zeichnung Sigmund Freuds dazu Anlass. Darin verdeutlicht der Meister den Sitz des Ichs. Eine Verortung der Autorschaft, hier ziemlich knapp unter der Decke reproduziert. Zeichnungen dieser Art kommen auch im Buch vor, verdeutlichen einen Handlungsgang oder bleiben einfach schleierhaft. Eine der Vitrinen versammelt vergleichbare Skizzen von Deleuze, Lacan und Wittgenstein, die in ihrer Unbeholfenheit den komplexen Zusammenhängen, die sie jeweils erhellen sollen, ordentlich Spott zollen. „Wittgensteins Kritzel“ sind von Franz West bereits vor zwanzig Jahren zu Miniaturskulpturen dreidimensionalisiert worden. Hier wird er u. a. manifest, der Shandyismus als künstlerische Tradition: im Autoren als Konstruktion seiner eigenen selbstreflexiven Beiläufigkeiten. Der Versuch, den Shandyismus zu begründen, kann also als gelungen betrachtet werden. Denn dass es um ein anderes als das moderne (also männliche und westliche) Subjekt geht, mit all seinen Auslassungen und Einheitlichkeiten, hat ja niemand behauptet.

Mit der Ausstellung ist es wie mit dem 700-seitigen Klassiker: Man muss sich schon darauf einlassen, um seinen Spaß zu haben. Aber man kann natürlich auch beim Überfliegen einzelne Zitate auflesen und sie in eine Ausstellungsbesprechung streuen. Sterne: „Diese Konfusion! rief mein Vater und sprang von neuem empor – heute geht auch kein einziges Ding seinen rechten Weg!“ (Sterne) Das Nebeneinander der Erzählung, die Unterbrechungen und die konstitutive Rolle der Abschweifungen werden durch eine „so sorglose Kurzweil aufgeführt“ (Sterne), dass man sich sicherlich fragen kann, ob hier nur hingenommen und humoristisch versöhnt wird, was problematisiert, zugespitzt oder analysiert gehörte. Zumindest als Möglichkeit war sich bereits Sterne dessen bewusst: „O ihr MÄCHTE! (denn Mächte seid ihr und noch dazu große Mächte) – die ihr den Sterblichen befähigt, eine hörenswerte Geschichte zu erzählen“. Anders als beim Buch muss man sich schließlich auskennen, um die ganzen Anspielungen und Bezüge, die in der Ausstellungsarchitektur fortgeführt werden – hier sind Gestaltungselemente und Raumteilungen von bekannten Vorgängerschauen kopiert –, zu triftigen Argumenten zu verketten oder einfach nur in sinnvolle Beziehungen zu einander zu setzen. Obwohl alle genannten Skizzen so aufrichtig um Klärung ringen, kann es den nicht Versierten also schnell wie Tristram Shandys Mutter ergehen. Überliefert ist ihr Ausruf als vorletzter Satz des Romans, der keiner ist: „Herr Gott! sagte meine Mutter, von was handelt denn eigentlich diese ganze Geschichte –?“