in: Kunstforum International, Nr. 171, Ruppichteroth 2004, S.383-384.

Kurze Karrieren
Kurze Karrieren. MuMok Factory, Wien, 20.Mai bis 01.August 2004.

Gründe dafür, eine Künstlerkarriere abzubrechen, gibt es sicherlich viele. Selten geworden sind Motive wie die von Charlotte Posenenske, die – wie schön symbolisch – im Mai 1968 ihr KünstlerInnendasein zugunsten eines Soziologie-Studiums aufgab: „Es fällt mir schwer“, schrieb sie, „mich damit abzufinden, dass Kunst nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen kann“. Wie die politischen, machten aber auch ästhetische Probleme und ihre Unlösbarkeit KünstlerInnen den Ausstieg schwer. Auch Lee Lozano erschien ihr „Dropout Piece“ (1970), das Ende einer Serie aus „Language Pieces“, als schmerzliche Unvermeidbarkeit.
Wie Posenenske beendeten auch andere ihre Künstler-Karrieren, um andere, vielleicht längere, anzutreten. Aber aus anderen Gründen. Konrad Lueg, der zuvor mit Sigmar Polke und Gerhard Richter Kunst gemacht hatte, gründete 1967 die Konrad Fischer Galerie in Düsseldorf, die Mitglieder der Prager Künstlergruppe OHO sind als Kuratoren tätig, Goran Trbuljak wurde Filmemacher. Was diese Positionen gemein haben und wie die besondere Situation der Kunstszene der späten 1960er und frühen 1970er Jahre die künstlerischen Praktiken bis zur Überlegung ihres Aufgebens prägte, versucht die von Susanne Neuburger und Hedwig Saxenhuber kuratierte Ausstellung im Wiener MuMok auszuloten. Natürlich gibt es seit Duchamps großer Pause eine Menge an Beispielen für den Ausstieg auf höchstem Niveau. Die im MuMok gezeigte Auswahl von Positionen rechtfertigt sich zum einen „hausintern“, da sie auf den zeitlichen Bezug zur ständigen Sammlung setzt. Zum anderen aber wird auch deutlich, wie sehr der Post-68er-Kunstbetrieb bei werk- und institutionenkritischen KünstlerInnen strategische Fragen zuzuspitzten schien.
Bei allen der gezeigten zehn Positionen handelt es sich um konzeptuelle Kunst. Treibt also der Vorrang der Idee vor dem Werk KünstlerInnen eher dazu, ihr werken ganz aufzugeben, als VertreterInnen anderer Gattungen? Christine Kozlov beispielsweise führt die Auseinandersetzung um Informationsvermittlung und –bearbeitung bis zu dem Punkt, der ihre Teilnahme an einer Ausstellung nur noch in einem Telegramm an den Kurator besteht, in dem eine „nicht angegebene Information“ als die Form der Aktion bestimmend angegeben wird. Auch Goran Trbuljak betreibt seine Reflexion über den Ausstellungsbetrieb und die Position des Künstlers in der Gesellschaft zu einer konsequenten Haltung: In einer Soloausstellung 1971 stellt er nichts als ein Poster aus auf dem steht: „Ich will nichts Neues und Originales zeigen“. Verena Pfisterer erklärte ihren Abschied aus der Kunst ähnlich wie Posenenske aus Enttäuschung über deren politische Irrelevanz, ihre Werke sind jedoch am symbolträchtigen und objekthaften Pol der Konzeptkunst anzusiedeln und haben mit den minimalistischen Arbeiten Posenenskes oder auch Kozlovs wenig gemein. Pfisterers Strategie war das Aufdecken durch die Umdeutung von Symbolen, Stoffkreuze beispielsweise verkleinerten die Gewalt der katholischen Kirche zum Kinderspielzeug. In den spielerisch-konfrontativen Arbeiten ist der Abgang weniger werkimmanent nachvollziehbar als bei Kozlovs rigorosem Reduktionismus oder Lee Lozanos strengen Handlungsanweisungen an sich selbst.
In einer Mixtur aus Werk und Haltung kündigt sich der Ausstieg bei der Prager Künstlergruppe OHO an. Alles, was im Bereich der Performance – die die drei Künstler Karel Miller, Jan Mlčoch und Petr Štembera die ganzen 1970er Jahre hindurch veranstalteten –, getan werden könne, sei eigentlich getan. In strapaziösen Aktionen betrieben die Künstler die Auslotung körperlicher Präsenz, die, betrachtet man die dokumentierenden Fotos im MuMok, in der Tat kaum steigerbar waren. Der Versuch der Prager, auf der Ebene der Wahrnehmung eine Verbindung von Kunst und Leben herzustellen, scheint dennoch eher abgebrochen denn erledigt. Denn schließlich handelt es sich bei beiden Bereichen ja um höchst kontingente, sich stets verändernde Angelegenheiten. Insofern lässt gerade hier die Frage nach dem Ausstieg natürlich vor allem eines wieder deutlich aufscheinen: Dass eigentlich auch das Weitermachen immer erklärungsbedürftig ist. Damit fragt die Ausstellung auch nach Konsequenz und Funktion der Künstlerrolle im heute sich verändernden, marktförmiger organisierenden künstlerischen Feld.
Lässt die Ausstellung einen hohen Grad an Vernetzung und Diskussion innerhalb der Kunstszene der frühen 1970er Jahre deutlich werden, sind doch die Gründe für den Abschied vom Kunstbetrieb so vielfältig wie die ästhetischen Positionen, ohne dass sie sich homolog zu diesen verhalten würden: Methodische wie physische Sackgassen, ästhetische wie politische Radikalismen, oder ein auf anderer Ebene lohnenderer Job. Ebenso vielfältig wie die Abschiedsgründe sind die Stellungen der KünstlerInnen zum und im heutigen Kunstbetrieb: Haben sich viele bereits in den letzten Jahren im Zuge des Konzeptkunst-Hypes gerne ausgraben lassen, mussten die Kuratorinnen andere zur Ausstellungsteilnahme erst mühsam überreden. Interessant wird noch das Buch zur Schau, in dem auch diejenigen zu Wort kommen, denen das Format der Ausstellung bis heute zuwider ist und für deren Teilnahme die gute Arbeit der Kuratorinnen nicht hat reichen können.

Jens Kastner

Kurze Karrieren. Kuratiert von Susanne Neuburger und Hedwig Saxenhuber. MuMok Factory, Wien, 20.Mai bis 01.August 2004. Mit Stephen Kaltenbach, Christine Kozlov, Lee Lozano, Konrad Lueg, Karel Miller, Jan Mlčoch, Hilka Nordhausen, OHO, Verena Pfisterer, Charlotte Posenenske, Petr Štembera, Goran Trbuljak.