in: Springerin. Hefte für Gegenwartskunst, Wien, Band X, Heft 2/04, S.69-70.

Theresa Hak Kyung Cha. Der Traum des Publikums
Generali Foundation, Wien, 14.Mai bis 15.August 2004

Jens Kastner

Das Wort in der modernen Lyrik bedürfe nicht mehr der Reihung, Kettung und der Regeln der Syntax. Von diesen Beziehungen, schrieb Roland Barthes, „bewahrt sie nur deren Bewegung und deren Musik, nicht aber deren Wahrheitsgehalt“. „Das Wort“ (1975) heißt eine Reihe von T-Shirts mit Front-Aufdruck, die nur die plakativste Veranschaulichung strukturalistischer Theorie ist, die es in den Arbeiten Theresa Hak Kyung Chas zu entdecken gibt. Subtil und leise, schwarz-weiß in den meisten Fällen, entfaltet sich in der Generali Foundation das facettenreiche Œvre einer Künstlerin, deren Hauptanliegen das Erforschen der Sprache war. Methoden, um die Konstruktion und Verschiebung von Bedeutungen und Wörtern innerhalb des Sprachsystems freizulegen, gibt es für Cha viele: Performances, Objekte, Diaprojektionen, MailArt, Künstlerbücher, und vor allem Filme.
Diese und sicherlich nicht zuletzt auch ihre Subjektposition machen die 1982 ermordete Künstlerin anschlussfähig an zeitgenössische Diskurse bzw. zu einer ihrer Vorreiterinnen. 1951 in Korea geboren, wandert sie als 13jährige mit ihrer Familie in die USA aus, und studiert in den 1970er Jahren vergleichende Literaturwissenschaft in Berkeley. Eingebettet in die Atmosphäre studentischer Widerstandskultur sowie das lebendige Feld experimenteller Kunst, verfügt sie also vor dem Migrationshintergrund über alle Charakteristika, um als ein/e „hybride/r Intellektuelle/r“ im Sinne des postkolonialen Theoretikers Homi Bhabha gelten zu können. Chas Werk ist demnach einerseits direkt mit der eigenen Lebenserfahrung von geografischem Exil und sprachlicher Vielgestaltigkeit verknüpft, koreanische, aber vor allem englische und französische Wortkombinationen und –kreationen legen die künstlerische Nutzung dieser Ressourcen offen. Der Titel der Videoarbeit „Exilée“ (1980), Exil oder ausgewandert, setzt mit der Frage nach Ort oder Praxis bereits um, was der Film dann zeigt. Ob auf dieser Reise von San Francisco nach Seoul, auf der die Minuten gezählt werden, die Insel (ile), die ebenfalls in „Exilée“ steckt, als rettendes Außen verloren geht, bleibt offen. Eine Melancholie jedenfalls macht sich in vielen Arbeiten Chas breit, die man ungern auf die verhinderte Rückkehr oder abgeschnittene Wurzeln zurückführen möchte.
Denn andererseits ist jede Hybridität nach Bhabha gekennzeichnet durch eine Praxis der Subversion, in der es darum geht, mit den Mitteln des Bruchs und der Verschiebung die Möglichkeit von Handlungsmacht aufrecht zu erhalten. An diesem Punkt hat Cha also im Medium des Film und der Lyrik bereits vorweggenommen, was universitäre und künstlerische Linke seit den 1990ern nicht mehr losgelassen hat. In der dreiteiligen Videoprojektion „Passage Paysage“ (1978) verschieben sich mit den Klängen die Wörter, weiß auf schwarz gleitet paysages (Reise) in passé (vorbei) in entice (verlocken, verleiten), und durch Landschaften und Kindheitsfotografien. Elemente wie das Erinnern über alte Familienfotos, die schon das autobiografische Künstlerbuch „Father/Mother“ (1977) benutzt, werden hier gekoppelt an manuelle Gestiken und Wortspiele, was diese Arbeit zu einer der eindrücklichsten der Ausstellung macht. Nur gemächlich entschlüsseln sich hier wie in anderen Arbeiten Geschichten, die von der Unzulänglichkeit der sie tragenden Medien ebenso berichten wie von sprachlichen, psychischen und sozialen. Weder die konzeptkünstlerische Bildlosigkeit von Arbeiten wie „Vidéoème“ (1976) oder der Diaprojektion „It Is Almost That“ (1977), noch auf die Kraft der Bilder setzende Performances wie „Aveugle Voix“ (1975) oder der Kurzfilm „Re Dis Appearing“ (1977) sind dabei jedoch auf lineare Erzählstrukturen angewiesen. Im Gegenteil weisen sie diese direkt zurück. Die Vielzahl der möglichen Stränge behauptet eine Offenheit, die, wenn nicht nach Auf- oder Erfüllung, doch nach Reaktion und Erweiterung ruft. Gefragt ist hier natürlich das Publikum, mit dem Cha in Interaktion treten will. Ausführliche Fotodokumentationen vermitteln zumindest einen Eindruck davon, was es bedeutet haben könnte, wenn die Künstlerin, wie explizit bei der Performance „A Ble Wail“ (1975), der „Traum des Publikums“ sein wollte. Folgt man der von Lawrence R. Rinder vorgenommenen, psychoanalytischen Deutung von Chas Werk, tritt die Künstlerin damit an die Stelle des Unbewussten, das mit den Techniken des Verschiebens und Verdichtens zur Repräsentation gelangt. Sich in diese Traumarbeit involvieren zu lassen, erfordert allerdings einige Anstrengung. Indem sie ihre Arbeiten als eine Suche ausweist, „Metaphern für die Rückkehr zu finden“, lässt sie auch dem Publikum die Wahl, sich dieser Nachforschung anzuschließen. Die Ambivalenz zwischen der Ernsthaftigkeit und Schwere der Freudschen Aufarbeitung und der Erleichterung angesichts der von ihren Regeln befreiten Worte spiegeln auch die Arbeiten Chas wieder. Obwohl die Wortbedeutungen nicht vollkommen unabhängig existieren, schreibt Barthes in „Am Nullpunkt der Literatur“, ermöglicht die Öffnung des ihnen zu Grunde liegenden Paradigmas ein Hinabtauchen in „eine Ganzheit von Bedeutungen, von Reflexen und Rückständen“.


Theresa Hak Kyung Cha. Der Traum des Publikums. Generali Foundation, Wien, 14.Mai bis 15.August 2004.